Der Graf von Monte Christo
den Hintersitz.
Will Seine Exzellenz St. Peter sehen? fragte der Führer.
Wozu? entgegnete der Baron; ich bin nicht nach Rom gekommen, um zu sehen. Für sich fügte er mit seinem habgierigen Lächeln hinzu: Ich bin gekommen, um einzusacken.
Und er betastete in der Tat sein Portefeuille, in dem er einen Brief verschlossen hatte.
Casa Pastrini, sagte der Führer zum Kutscher, und der Wagen entfernte sich rasch.
Zehn Minuten nachher war der Baron wieder in seinem Zimmer, und Peppino setzte sich auf die an der Wand vor dem Gasthof angebrachte Bank, nachdem er ein paar Worte einem Betteljungen zugeflüstert hatte, der mit aller Schnelligkeit seiner Beine den Weg nach dem Kapitol einschlug.
Danglars war müde, befriedigt und darum schläfrig. Er legte sich nieder, steckte sein Portefeuille unter sein Kopfkissen und entschlummerte.
Peppino hatte Zeit übrig; er spielte Mora mit den Facchini, verlor drei Taler und trank, um sich zu trösten, eine Flasche Orvietowein.
Am andern Morgen erwachte Danglars spät, obgleich er sich früh zu Bette gelegt hatte. Er frühstückte reichlich, und da er nach den Sehenswürdigkeiten der ewigen Stadt nichts fragte, so verlangte er auf die Mittagsstunde Postpferde.
Doch er hatte ohne die italienische Unpünktlichkeit und die Förmlichkeiten der Polizei gerechnet. Die Pferde kamen erst um zwei Uhr, und der Führer brachte den visierten Paß erst um drei Uhr.
Welche Straße? fragte der Postillon italienisch.
Straße nach Ancona, antwortete der Baron.
Meister Pastrini übersetzte die Frage und die Antwort, und der Wagen verließ den Gasthof im Galopp.
Danglars wollte nach Venedig reisen und dort einen Teil seines Vermögens einziehen, sodann sich von Venedig nach Wien begeben, wo er den Rest flüssig zu machen gedachte. Seine Absicht war, sich in dieser Stadt niederzulassen, die man ihm als eine Stadt der Vergnügungen geschildert hatte.
Kaum hatte er drei Stunden in der Campagna von Rom zurückgelegt, als die Nacht anzubrechen begann. Danglars hatte nicht so spät abzureisen geglaubt, sonst wäre er geblieben. Er fragte den Postillon, wieviel Zeit man noch brauche, um die nächste Stadt zu erreichen.
Non capisco! antwortete der Postillon.
Danglars machte eine Bewegung mit dem Kopfe, die sagen wollte: Sehr gut!
Der Wagen setzte seinen Weg fort.
Bei der ersten Post werde ich anhalten, sagte Danglars zu sich selbst. Er fühlte noch einen Rest des Wohlbehagens vom vorhergehenden Tage, das ihm eine so gute Nacht verschafft hatte. Was tun, wenn man Bankier ist und einen glücklichen Bankerott gemacht hat? Danglars dachte an seine in Paris zurückgebliebene Frau, an seine Tochter, die sich mit Fräulein d'Armilly in der Welt umhertrieb; dann dachte er auch an seine Gläubiger und die Art und Weise, wie er sein Geld anwenden wollte. Als er an nichts mehr zu denken hatte, schloß er die Augen und schlief ein.
Bei einem heftigeren Stoße öffnete er zuweilen seine Augen aus eine Sekunde wieder und fühlte sich stets mit derselben Geschwindigkeit durch die römische Campagna mit ihren zahllosen zertrümmerten Wasserleitungen fortgezogen. Doch die Nacht war kalt, düster und regnerisch, und es war viel besser für einen schläfrigen Menschen, im Hintergrunde seines Wagens mit geschlossenen Augen zu träumen, als den Kopf aus dem Kutschenschlag zu strecken und einen Postillon, der nichts zu antworten wußte, als: non capisco, zu fragen, wo er sich befinde.
Danglars sagte sich, es sei auf der Station noch immer Zeit, zu erwachen, und setzte seinen Schlaf fort.
Der Wagen hielt an; Danglars dachte, er habe das ersehnte Ziel erreicht. Er öffnete die Augen, schaute durch die Scheiben, in der Erwartung, sich mitten in einer Stadt oder wenigstens in einem Dorfe zu finden; doch er sah nur ein Stück halbzerfallener Mauer und drei bis vier Menschen, die wie Schatten hin und her gingen.
Danglars wartete einen Augenblick, er glaubte, der Postillon werde hier an der Station kommen und das Postgeld von ihm verlangen; er gedachte die Gelegenheit zu benutzen, um sich von seinem neuen Führer Auskunft geben zu lassen; doch die Pferde wurden gewechselt, ohne daß jemand Geld von ihm forderte. Erstaunt öffnete Danglars den Wagenschlag, doch eine kräftige Hand stieß ihn sogleich zurück, und der Wagen rollte fort.
Voll Verwunderung erwachte der Baron gänzlich aus seinem Halbschlummer.
He! sagte er zu dem Postillon, he! mio caro!
Doch mio caro antwortete nicht. Danglars öffnete nun das Fenster
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