Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
anderen Seite der Stadt neben dem DAS-Büro sein würde, aber diesmal war sie in demselben Gebäude. Ich folgte seiner Weg beschreibung und fand meinen Weg durchs Betontreppenhaus. Auf dem nächsten Treppenabsatz waren die Türen durch Eisen stangen geschützt. Ein Sicherheitsmann saß hinter einem kleinen Tisch.
„Ich möchte Dr. Lopez sehen“, sagte ich. Der Wachmann prüf te langsam seine Liste. Dann sah er auf und prüfte mich ebenso langsam, als wenn er gleich ein Urteil von großer Weisheit abge ben würde.
„Es gibt keinen Dr. Lopez.“ „Er ist der Gerichtsmediziner. Ich muss ihn sprechen. Ich ääh ...“ Ich suchte nach den richtigen Worten, um fortzufahren, aber der Wachmann nahm es mir ab, indem er sagte: „Oh, der Gerichtsmediziner. Nächster Stock, rechts.“ Ich öffnete die Tür. Noch ein Büro. Fünf Menschen an Schreib tischen. Diesmal gab es etwas mehr Hinweise auf Aktivitäten und herumliegenden Papierkram. „Ich möchte den Gerichtsmediziner sprechen …“, begann ich. „Nein, das ist nicht das Büro des Gerichtsmediziners.“ Ich versuchte es noch einmal. „Könnte ich Dr. Lopes sprechen?“ „Lopez? Er ist nebenan. Aber er ist nicht der Gerichtsmediziner.“
Ein Junger Mann Anfang 20 steckte seinen Kopf durch die Tür des Nebenzimmers.
„Ich bin Dr. Lopez. Ich bin der Gerichtsmediziner. Wie kann ich Ihnen helfen?“
Ich schilderte die Lage. Zu meiner Überraschung schickte er mich nicht zu einer anderen Institution am anderen Ende von Santa Marta, sondern bat mich in sein Büro und zeigte mir eine dicke Akte mit Berichten und Fotos von vermissten Menschen, als wollte er demonstrieren, dass ich endlich tatsächlich im rich tigen Büro gelandet war. Dann holte er ein fotokopiertes Blatt heraus, das einem Multiple-Choice-Test ähnelte. Das Formular forderte Einzelheiten von dem Vorkommnis. Welche Art von Na se hatte die vermisste Person? Wie viele Augenbrauen hatte sie? Spielte es eine Rolle, wie viele Augenbrauen Mark hatte?
Nachdem ich das ausgefüllt hatte, rief Dr. Lopez drei Assisten tinnen aus dem Vorderzimmer herein. Sie verbrachten die näch sten 20 Minuten damit, das Formular zu korrigieren, Eintragungen mit Tippex zu löschen, mir Fragen zu stellen und das, was ich ge schrieben hatte, mit Bleistift auf ein Duplikat abzuschreiben.
„Damit wir es später ändern können, wenn wir wollen“, erklär ten sie mit entwaffnender Unschuld.
Ich sah ihnen über die Schultern und wies sie auf die Fehler hin. Sie radierten sie aus und schrieben dasselbe wieder fehlerhaft hin. Schließlich gelangten wir zu einer annähernd übereinstim menden Version dessen, was ich auf dem ursprünglichen Formu lar geschrieben hatte.
Dr. Lopez versicherte mir, dass man die Polizei und die Küsten wache informieren würde. Alles, so verkündete er, war nun in den richtigen Händen und unter Kontrolle.
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Ein schwerer Anruf
Ich nahm ein Taxi zum Miramar. Wenigstens hatte mein Vor stoß in das Labyrinth der kolumbianischen Bürokratie den ge fürchteten Augenblick aufgeschoben, der früher oder später kom men musste. Nun war es soweit: Ich musste Marks Vater anrufen. Inzwischen war es zu spät, um wieder nach Arrecifes zurück zukehren, also nahm ich ein Bett im Miramar. Im Hof saß der üb liche bunte Haufen Traveller in verschiedenen Stadien der Dege neration – man unterhielt sich, las, spielte Schach, trank Bier und Fruchtsäfte. Ein paar lagen träge in den Sesseln vor dem Fernse her in der Ecke und schauten einen zweitklassigen blutrünstigen Film im Kabelfernsehen – Stirb mit einer Latte oder so etwas.
Ich schlich mindestens eine Stunde lang um das Telefon, bis ich meinen Mut zusammengenommen hatte. Schließlich rief ich an. Mein Herz klopfte, während ich wählte. Es war das Schwerste, was ich jemals hatte tun müssen. Marks Stiefmutter, nicht sein Vater, ging ran. Nun musste ich sagen, was ich den ganzen Tag geübt hatte.
„Denise, ich fürchte, etwas Schreckliches ist passiert, Mark ist ertrunken.“ So einfach und doch so niederschmetternd. Ich hörte, wie ich selbst die Worte sagte, die alle Eltern mehr als alle anderen Worte fürchten mussten: Dein Kind ist tot. Die schlimm ste Neuigkeit von allen.
Stille. „Ist das ein Witz?“, fragte sie schließlich. „Ich fürchte nein, Denise. Ich würde über so etwas keine Witze machen.“
Das bloße Sprechen schien es ein Stück realer werden zu las sen. Sind Dinge wahr bevor
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