Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
hatte einen Lehrling eingestellt – Michel, einen jungen Italiener, der beschlossen hatte, sich in Arrecifes herumzutreiben, um die Kunst des Lebens am Strand von einem Meister zu lernen. Wo auch immer Carlos war, war Michel in der Regel ein paar Me ter hinter ihm. Er lernte zu harpunieren, auf Palmen zu klettern und Kokosnüsse zu öffnen, Fisch auszunehmen und was man sonst für ein Leben am Meer brauchte. Es war eine verführerische Alternative: Die Hetze des Alltags gegen ein wildes, selbstgenüg sames Leben an einem wunderschönen wilden Flecken einzutau schen, praktisch von nichts zu leben, Fisch für etwas Bargeld zu verkaufen und dann zum nächsten wilden und unentwickelten tropischen Strand irgendwo anders auf dem Weg weiterzuziehen. Michel kopierte sogar Carlos‘ Anmach-Sprüche. „Michel will, dass ich ihm Unterricht im Sex erteile“, sagte mir Melissa eines Tages. „Er möchte wissen, was eine wunderschöne Frau wie ich mit einem Mann wie … dir macht.“ Vielleicht war das eben die Art der Italiener.
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Lionel und Pascale
Carlos war seit fünf Monaten am Strand, aber ein französisches Paar, Lionel und Pascale, hatten schon fast ihr einjähriges Jubilä um erreicht. Pascale hatte der Frau eines der Fischer beigebracht, französisches Brot zu backen, um es an die Touristen zu verkau fen. Im Gegenzug gestatte es ihnen die Familie, kostenlos auf ih rem Abschnitt des Strandes zu campieren.
Sie hatten ihr Zelt mit einem dicken Zaun aus Ästen einge zäunt und so einen gemütlichen Zeltplatz gestaltet, wenn auch nicht mit der strengen Ordnung, die in Carlos‘ Lager herrschte. Sie hatten Stühle und einen Tisch aus Treibholz gebastelt, genos sen einen griffbereiten Vorrat an Kokosnüssen von einer Palme, die über ihren Köpfen hing, und hatten sogar einen Ofen in die Erdböschung hinter dem Strand gegraben. Lionel ging mit den einheimischen Fischern speerfischen, und Pascale buk Fisch so wie leckeres Brot und Kokosnusskuchen im Ofen. Bevor sie nach Arrecifes gekommen waren, hatten sie ein Jahr auf einer winzigen Insel in Honduras verbracht, die so klein war, dass man Frisch wasser im Kanu von einer Nachbarinsel holen musste. Eines Tages wurde Lionel verhaftet.
Die beiden örtlichen Bullen, die ein paar Kilometer weiter die Küste hinauf stationiert waren, hatten erkannt, dass sie eine ruhige Kugel schieben konnten, und drückten bei ein bisschen Dope und Kokain normalerweise ein Auge zu. Aber nachdem wir ein paar Wochen dort gewesen waren, wurde der Oberbulle – den sie alle El Jefe („der Chef“) nannten – durch ein enthusiastisches zwan zigjähriges Babygesicht ersetzt, das unbedingt jedem zeigen wollte, wer hier das Sagen hatte. Der neue Jefe ritt auf seinem Pferd nach Arrecifes hinein und verhaftete Lionel, weil er einen Joint geraucht hatte. Der andere Bulle zuckte entschuldigend mit den Schultern, als der übereifrige junge Kerl Lionel wegführte, ohne ihm über haupt Gelegenheit zu geben, seine Schuhe zu holen, und ihn nach Santa Marta fuhr, um ihn ins Gefängnis zu werfen.
Zum Nachteil für den jungen Jefe , aber zu Lionels Glück war es der Tag der allgemeinen kolumbianischen Wahlen. Während der letzten Wahlen waren hunderte Menschen ermordet worden, sodass der Polizeichef von Santa Marta verständlicherweise be schäftigt war. Er fragte den El Jefe , warum zur Hölle er damit seine Zeit verschwendete – am angespanntesten Tag seit vier Jahren. Der Manager des Miramar kam und holte ihn gegen Kaution raus. Zufällig verlief die Wahl ohne Gewalt (ein kleines Wunder in Kolumbien) und wurde von Ernesto Samper, einem Liberalen, gewonnen. Bald musste Samper um sein politisches Überleben kämpfen, da man mutmaßte, dass seine Wahlkampagne vom Ca li-Drogenkartell riesige Spenden erhalten hatte.
Als Lionel nach Arrecifes zurückkehrte, jagte ihn der sturzbe trunkene Besitzer des Arrecifes-Restaurants (der gerade erst von seiner Frau verlassen worden war) mit einer Machete durch die Gegend – weil Lionel am Vortag zufällig mit dessen Frau gespro chen hatte.
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Phillipe
El Jefe war nicht bereit, nachzugeben. Ein paar Nächte später startete er eine Razzia in Phillipes Camp.
Phillipe, sowie ein junger Schweizer mit Dreadlocks namens Christian und ein Quartett französischer und italienischer Rei sender waren die anderen Langzeit-Camper. Als wir ankamen, waren sie schon seit zwei Monaten dagewesen. (Für uns war es einfach
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