Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
Zweifeln, die wir übersehen haben könnten. Wie konnte ich es seinem Vater sagen, wenn auch nur die geringste Möglichkeit bestand, dass es nicht die Wahrheit war?
Aber egal wie oft ich diesen Augenblick in meinem Geist nach erlebte, ich konnte kein anderes Ergebnis erkennen. Konnte er von der Brandung angeschwemmt worden sein und in einem unbeachteten Winkel der Bucht liegen? Nein, wir hatten jeden Zentimeter des Strandes zweimal abgesucht. Konnte er weiter draußen auf dem Meer wieder an die Oberfläche gekommen und dann zu einer anderen Bucht geschwommen oder dort bewusst los, aber lebendig angespült worden sein? Nein. Er hätte höch stens in unserer Bucht wieder auftauchen können. Die anderen waren zu weit entfernt. Zu viele Menschen hatten es schon erlebt.
Es bestand keine Chance, dass Mark noch lebte. Nicht die ge ringste Chance.
Trotzdem konnte ich das Gefühl nicht abschütteln, dass es ein fach nicht real war. Das konnte es nicht sein. Was ich gesehen hatte, musste eine Sinnestäuschung gewesen sein, eine halluzina torische Nachwirkung von dem San-Pedro-Trip. Auch jetzt noch, als mir Marks Tod so gewiss erschien und kein Strohhalm der Hoffnung mehr übrig zu sein schien, erwartete ich immer noch halb und halb, dass ich bei meiner Rückkehr ins Lager Mark vor finden würde, der über meine Verwirrung lachte.
Ich versuchte, mich in den Rhythmus des Marsches zu versen ken. Kraft zu schöpfen aus der kühlen Schönheit des Waldes und dem Privileg, an diesem magischen Ort sein zu dürfen. Dichte Lagen Grün umschlossen diesen engen Pfad. Sprenkel von Licht und Vogelgesang drangen durch die Bäume ins schattige Inne re des Waldes. Der Pfad schlängelte sich durch natürliche Tore aus riesigen Findlingen, die so eng waren, dass ich mich seitwärts wenden musste, um hindurch zu kommen, und wand sich sanft über Hügel und durch fast ausgetrocknete Wasserläufe.
Mark war der erste Mensch, der mir nahe stand, der so ge storben war. Zwar hatte ich auch meinen Großvater und meine Großmutter sterben sehen, langsam, in Krankenhausbetten. Aber Marks Tod war der erste plötzliche und unerwartete Tod; der erste gute Freund in meinem eigenen Alter, der gestorben war.
Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich. Freiheit. Beinahe schon Euphorie. Ich erinnerte mich an Terry Hall (den Ex-Spe cials-Sänger), der in einem Interview sagte, als sein Vater gestor ben sei, habe er sich am nächsten Morgen nach dem Aufwachen gefühlt wie Supermann. Marks Tod war genau der Augenblick, den ich immer gefürchtet und immer wieder in meinem Hinter kopf geprobt hatte, solange ich mich erinnern kann. Nicht unbe dingt Marks Tod, nur irgendein Tod. Früher oder später musste es passieren. Wir wissen, dass Menschen sterben müssen, die uns nahestehen, und wenn wir sie überleben, müssen wir miterleben, wie sie uns verlassen. Wenn die Erwartung einer Tragödie auch unerträglich sein kann, so erlöst uns die Tatsache selbst zumin dest von dieser fürchterlichen Spannung.
Vielleicht hatte ich gefunden, was ich gesucht hatte. Wenn ich aufgebrochen war, um das wahre Leben zu entdecken, dann hatte ich es nun entdeckt – wenn auch nicht auf eine Weise, die ich er wartet oder mir gewünscht hätte. Aber das hier war Wirklichkeit: Etwas, was eine Rolle spielte; etwas, was weit über die zimperlichen Eitelkeiten und künstlichen Ziele unseres gewöhnlichen Lebens hinausging und die existenziellen Grundlagen dessen be rührte, was es bedeutete, am Leben zu sein. Durch Marks Tod fühlte ich mich lebendiger als je zuvor.
Ob Mark gefunden hatte, was er gesucht hatte? War er all die Risiken eingegangen, weil ein Teil von ihm dieses Ergebnis im mer schon ersehnt hatte – die endgültige Wahrheit des Todes? Ich konnte es nicht sagen.
Ich wusste nur, dass der Wald schöner und wunderbarer war als je zuvor: Mein Sinn für seinen Wert war geschärft von der Schmerzlichkeit des Verlusts; seine Präsenz war friedlich und pulsierend lebendig zugleich.
Der Wald überlebt jedes fallende Blatt und jeden sterbenden Baum; die Menschheit überlebt jedes einzelne Menschenleben. Wenn wir flüchtige Formen loslassen, können wir unseren Geist für die grundlegende, vernetzte Energie öffnen, die unser Uni versum erfüllt. Sich selbst loslassen. Ekstase der Schamanen. Die grundlegende Lehre des Buddha: So einfach, und doch so schwer zu befolgen.
Ich ging weiter.
Ich spürte, dass ich zum ersten Mal eine grundlegende Wahr heit in aller Klarheit sah. Es war
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