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Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika

Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika

Titel: Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Mann
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etwas, was sich auf der ganzen Reise in meinem Geist gebildet hatte. Dieser Augenblick – und vor allem die Art, wie der Wald den Schmerz über Marks Tod zu lindern schien – vollendete diese Erkenntnis. Sie bestand ganz einfach darin: Dass wir die Natur brauchen – nicht nur wegen der Rohstoffe, die sie liefert, sondern auch, um unseren Geist zu nähren. Damit wir „mit beiden Beinen auf dem Boden“ bleiben. Wir brauchen dieses Gefühl, dass die Natur heilig ist.
    Ohne diese Verbindung zur Natur werden wir niemals Frie den finden. Vielleicht ist das der Grund, aus dem wir Europä er so rastlos sind – aus dem wir reisen und bauen und ständig nach etwas streben, das für immer unerreichbar scheint. Wir su chen diese verlorene Verbindung. Die Verbindung, die ich in der riesigen, ruhigen Stille der Berge empfunden hatte; in der ma gischen Lebensenergie des Amazonas; am Strand während dem San-Pedro-Trip.
    Ich dachte wieder an den Tod meines Großvaters in der sterilen, utilitaristischen Umgebung eines Londoner Krankenhauses, der mich mit solcher Furcht und Hoffnungslosigkeit erfüllt hatte, ob wohl doch sein Tod ein Grund zum Feiern hätte sein sollen, da sein Leben lang und erfüllt gewesen war. Aber hier, wo ich gren zenloses Leben um mich hatte, schien der Tod irgendwie leichter zu ertragen: Er war ein unausweichlicher Teil im endlosen Zirkel der Natur – obwohl Marks Tod sicherlich die größere Tragödie von den beiden war, da er so jung gewesen war und noch so vieles hätte geben können.
    Es schien so offensichtlich. Diese verlorene Verbindung war, wonach ich so lange gesucht hatte: Das schlagende Herz, das mei ner materiellen Welt gefehlt hatte. Nun hatte ich es gefunden. Mir wurde bewusst, dass das alles für Marks Vater keinen Sinn ergeben würde, zumal wenn es an einem trüben Märztag in einem Vorort in England über einen Anruf aus Kolumbien kam. Dieser Gedanke ernüchterte mich; der Kontrast zwischen der Eu phorie des vorangegangenen Augenblicks und der ernüchternden Aussicht auf diesen Anruf verstärkte noch den unwirklichen Ein druck.
    ✷ ✷ ✷
Die Todesanzeige
    Ich erreichte die Straße und nahm einen Bus nach Santa Mar ta. Ich beschloss, dass ich, bevor ich Marks Vater anrief (und vor allem, um diese Aufgabe aufzuschieben), seinen Tod bei der Poli zei anzeigen würde. Der Polizist in Arrecifes hatte bereits deutlich gemacht, dass er den Todesbericht nicht machen konnte – oder wollte. In der Polizeistation in Santa Marta ging ich auf den Poli zisten zu, der hinter seinem Schreibtisch saß.
    „Ich möchte den Tod meines Freundes anzeigen“, begann ich. Der Polizist hob seine Hand und deutete zu einer offenen Tür. Da hinter war ein kleiner, trostlos funktionaler Raum. Es gab einen leeren Tisch mit je einem Stuhl auf jeder Seite. Ein paar weitere Stühle standen unter einem hohen, kleinen Fenster an der Wand. Der Bulle am Schreibtisch befragte eine Frau mittleren Alters. Er war nicht älter als 19. Ein Gorilla von einem Jungen, ein fettes Kind, das zu viel Zeit im Fitnessraum zugebracht hat, mit einem pummeligen Gesicht und militärischem Haarschnitt; sein Hals versteckte sich zwischen seinen aufgeblähten Schultern. Seine Uniform war zwei Nummern zu klein; die engen Achselhöhlen zwangen ihn, seine Schultern zu heben und seine Arme etwas vom Körper weg zu halten.
    Der Junge lächelte die Frau vielsagend an und machte unter dem Tisch eine Geste mit seiner Hand. Es war klar, dass sie etwas Geld hineinlegen musste, um voranzukommen. Die Frau zischte vor Abscheu, stand auf und ging hinaus. Es wirkte nicht allzu er mutigend. Ich setzte mich auf ihren Stuhl und begann zu erklären.
    „Mein Freund ist ertrunken.“ „Warum sagen Sie mir das?“, fragte er gleichgültig. Er sah mich eine Minute lang an und versuchte zu entscheiden, ob aus dem schmutzigen Gringo etwas herauszuholen war, der vor ihm saß. „Weil ich seinen Tod melden möchte“, sagte ich. Er zuckte mit den Schultern. „Warum?“
    Diese Frage hatte ich nicht erwartet. Weshalb wollte ich über haupt seinen Tod melden? Schließlich war er sowieso tot, ob ich es meldete oder nicht. Welchen Unterschied würde es machen, wenn ich es nicht meldete? Aber man konnte doch nicht einfach so … sterben. Nicht nach all den Jahren, in denen man Formu lare ausgefüllt hatte – Geburtsurkunden, Schulabschlüsse, Be werbungen, Führerschein, Bankkonten, Steuerformulare, Hypo theken, medizinische Anamnesen, Versicherungsformulare. Alles

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