Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
alle Schulden sind gelöscht. Die Sache musste doch wohl einen Haken haben? Sie hatte aber keinen. Mit einem Schlag – wie man so sagt – war er frei. Die Woh nungsbaugesellschaft verlangte immer noch nicht, dass er auszog. Das Finanzamt gewährte ihm sogar einen Steuernachlass. Und natürlich (das war die ganze Zeit schon klar gewesen) musste ich ihm den Rest des Geldes für die Reise leihen.
✷ ✷ ✷
Gepäck
Das nächste schlechte Zeichen war Marks Gepäck. Melissa und ich waren schwerbeladen aus dem Flugzeug ges chwankt: Unsere Rucksäcke platzten fast von der neuesten ultraleich ten, Vibram-Goretex-Qualofil-Hydrolite-Aquadril-Pertex-Camping- Ausrüstung in Expeditions-Qualität. Wir hatten Taschenlampen, Kompasse, Reiseführer, Thermosflaschen, Fleece-Pullover, Gore-Tex- Überhosen und den leichtesten Camping-Kocher der Welt (nicht dass ich das Scheißding überhaupt in Gang setzen konnte). Wir hatten Moskito-Netze, Angelspulen, DEET, Malaria-Tabletten, sechs Sorten Antibiotika, Fußpilz-Cremes, Antihistamin-Creme, acht Sor ten Verbände, Pflaster und Wundauflagen, sterile Spritzen und einen Tropen-Verbandskasten. Wir hatten Glukose-Tabletten und hoch konzentrierte Energie-Riegel für das Überleben im Gebirge. Wir hat ten Reisestecker, ultraleichte Reise-Handtücher in der Größe eines Taschentuchs und Zahnbürsten, denen wir die Enden abgeschnitten hatten, um Gewicht zu sparen. Wir hatten Schweizer Armee-Klapp messer sowie Ersatz-Schweizer-Armee-Klappmesser für den Fall, dass wir die die Original-Schweizer-Messer verloren.
Mark kam mit einem halbleeren Rucksack in Quito an, den er gebraucht gekauft hatte. Ich sah hinein: Ein Porno-Heft, eine große, gebundene Ausgabe von Stephen Hawkings „A Brief History of Ti me“ aus der Chathamer Stadtbücherei, zwei Ersatzgarnituren Kla motten und zwei Dutzend Packungen King-Size-Zigarettenpapier. „Ich weiß nicht, ob es hier Rizlas gibt“, erklärte er. „Wo ist das Zelt?“, fragte Melissa. Sie hatte für ihn ein sehr gutes und sehr teures Zelt organisiert, das ihm eine Freundin von ihr leihweise überlassen wollte. „Naja, wir hatten mit Johns Auto auf dem Weg zum Flughafen eine Panne. Der Penner war außerdem blau und kam sowieso zu spät, also hatten wir keine Zeit, es abzuholen. Ich hab aber das hier.“ Mark zog eine dünne Seidenjacke heraus. „Habt ihr ge wusst, dass Seide das wärmste Material ist, das die Menschheit kennt? Außerdem habe ich noch … das hier.“
Er schwenkte etwas, was aussah wie eine kleine Tasche aus Alufolie. „Astronauten benutzen das. Es reflektiert die Wärme nach innen.“ Mark begann eine lange, wissenschaftlich anmutende Erklä rung über verschiedene Arten von Wärmeverlust. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren. Entweder er verwirrte einen mit Wissenschaft oder er redete einfach so lange, bis man vergas, wo rüber man eigentlich diskutierte. „Ich glaube, diese Silberfolie ist Schrott“, murmelte Melissa lei se zu mir.
✷ ✷ ✷
Das Gran - Gringo
Wir wohnten im El Gran Casino, dem berühmten Traveller- Schuppen, der allgemein als das „Gran Gringo“ bekannt ist. Die meisten Städte in der Dritten Welt haben solche Treffpunkte: Das Original; das Billigste. Zimmer ohne Fenster mit feuchten Wänden und abblätternder Farbe. Zusammengebrochene Betten mit verbeulten Matratzen. Flö he, Kakerlaken, Ratten; Hippies und Junkies – allerdings kursierte das Gerücht, dass der Sohn des Besitzers ein Bulle war und man gute Aussichten hatte, im Knast zu landen, wenn man dort kiffte.
Das Gran Casino hatte auch einige gute Seiten: Ein einigerma ßen annehmbares Cafe, einen schattigen, gepflasterten Innenhof und – was merkwürdig war – eine Sauna. Das Hotel stand am Fuß einer langen Treppe, die zum El Panecillo (dem „kleinen Brot laib“) hinaufführte, einem Berg, der von einer auffälligen Statue der Jungfrau Maria gekrönt wurde. Wegen der Raubüberfälle war diese Treppe für Touristen tabu. In derselben Straße gab es das „Gran Casino 2“, wo es in der Bar Hähnchen im Korb und einen Billard-Tisch gab. Es wurde zu unserem Treffpunkt in Quito. Das Gran Casino 2 befand sich in der Nähe eines Platzes am Hang, der sich regelmäßig in einen Trödelmarkt verwandelte. Hölzerne Stände ächzten unter Stapeln von Altmetall, kaputten Kesseln, rostigen Nägeln, den Innereien historischer Radios, alten Schuhen und Kleidern – alle abgetragen und anscheinend nicht mehr zu reparieren.
✷ ✷
Weitere Kostenlose Bücher