Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
Hand und fügte hinzu: „Die schönsten auf der ganzen Welt.“
Als er erfuhr, dass wir aus England kamen, gab er eine ausführ liche Beschreibung eines Fußallspiels zwischen Kolumbien und England aus dem Jahre 1965 oder so. Kolumbien, sagte er, schaff te nach einem Tor durch Bobby Charlton den Ausgleich zum 1:1. Je näher er dem Ausgleich kam, desto aufgeregter wurde er. „Toooor“, schrie er und griff gerade noch rechtzeitig ins Lenkrad, um einem entgegenkommenden Auto auszuweichen.
Das Miramar war wieder mal ein klassischer Gringo-Trail-Bil ligladen. Jeder Rucksacktourist in Santa Marta ging dorthin, ob wohl es mindestens 20 Hotels gab, die sauberer und ruhiger und genauso billig waren. Das Miramar sah aus wie ein Gefängnis. Ein Gringo-Gefängnis. Das Haupttor, von dem aus man unmöglich das Meer sehen konnte (denn „Miramar“ heißt „Meerblick“), das am Ende der Straße war, wurde von einem schweren Eisengitter geschützt, das nachts abgeschlossen wurde, um entweder die Ein heimischen aus- oder die Gringos einzusperren. Innen hatte es einen halbüberdachten Innenhof. Die Rezeption war in der vor deren überdachten Hälfte. Daneben standen ein paar arg mitge nommene Sessel und ein Fernseher, der auf ein amerikanisches Satelliten-Programm eingestellt war. Um die Rezeption herrsch te immer geschäftiges Treiben. Rucksacktouristen checkten ein oder aus oder warteten darauf, das Telefon benutzen zu können. Leute unterhielten sich mit dem Manager oder versammelten sich zu einer Tour zum Tayrona Park. Schlepper und Touristen führer trieben sich herum, denn das Miramar diente als örtliches Touristenbüro: Wenn man etwas wissen wollte oder jemanden brauchte, der einen irgendwohin führte, kümmerte sich das Mi ramar darum.
Mitten in diesem Wirbel von Aktivitäten, im ruhigen Auge des Zyklons, saß der pummelige Manager des Miramar. In schnellen Zügen spielte er Schach, während er gleichzeitig einen endlosen Strom von Fragen beantwortete und seinem Personal Anwei sungen erteilte. Das Niveau seines Schachspiels war ebenfalls hoch. Kolumbianer schaffen es, sogar etwas so gediegenes und ver kopftes wie Schach in eine Macho-Selbstdarstellung zu verwan deln. Die Züge wurden ohne Pausen herausgeschossen. Die Spiel steine wurden mit einer schwungvollen Handbewegung aufs Brett geknallt. Zuschauer versammelten sich und äußerten nach jedem Zug murmelnd ihre Zustimmung oder Missbilligung. Die Spieler taxierten sich gegenseitig mit verschlossenen Minen, wie zwei Kämpfer im Ring.
Weiter hinten, im offenen Bereich des Innenhofs, war ein Cafe, das Säfte, Bier und Omelette anbot und The Doors und Bob Mar ley laufen ließ. Dies war der Ort in der Stadt, an dem man andere Rucksacktouristen treffen und Reiseerlebnisse austauschen konnte. Und koksen. Leute verschwanden in den Schlafräumen und ka men mit großen Pupillen und laufenden Nasen zurück, während ein eleganter Kolumbianer mit silbernem Haar beim Haupttor saß und vielsagend seine Nasenflügel weitete, wenn man vorbeikam. Das Miramar hatte zwei Nachteile: Man konnte unmöglich schlafen, und es war außerdem immer voll. Melissa und ich fanden ein Hotel in der nächsten Straße: Ein einstöckiges Eckhaus mit ab blätternder Farbe, das El Prado hieß. Es hatte nur vier Zimmer, die anscheinend aus Pappe bestanden, sowie eine ameisenverseuch te Küche. Es hatte eher eine familiäre Atmosphäre als das Flair eines Hotels. Es wurde von einem alten Mann geführt, der nicht viel sagte, sowie von einer Katze und Alberto – einem gewaltigen, schwitzenden Jugendlichen, der sich in Melissa verliebte und uns wie alte, lange vermisste Freunde grüßte, wenn wir hereinkamen. Alberto verbrachte den größten Teil des Tages versteckt hinter voll gehängten Wäscheleinen liegend in einer Hollywood-Schaukel im Hinterhof, wo er Hare-Krishna-Bücher las – aber nicht, weil er ein Hare-Krishna-Anhänger war, sondern weil es die einzigen Bücher waren, die er sich leisten konnte, da sie kostenlos waren.
Schach war auch im El Prado beliebt. Ich spielte gegen einen alten Mann, der in einem solchen Tempo und mit einer solchen Prahlerei so verrückte Züge machte, dass er wohl entweder ein Genie oder ein Idiot sein musste. Zu meinem Glück war er ein Idiot.
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Jugo de Maracuy
In Santa Marta gibt es nicht viel zu unternehmen oder zu se hen, obwohl die Stadt 1525 gegründet wurde und die älteste Stadt in Kolumbien ist; auch ist Simon Bolívar im Jahre 1830 hier ge
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