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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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Fahrer ein, während der Wagen mit quietschenden Reifen durch Gassen und in der Gegenrichtung durch Einbahnstraßen nach Vomero hochfuhr, einer wohlhabenden Wohngegend, in der Ted bisher nicht gewesen war. Sie lag hoch oben auf einem Hügel. Noch ganz schwindelig bezahlte er den Fahrer und stand mit Sasha in einer Baulücke. Die flache, funkelnde Stadt breitete sich vor ihnen aus und streifte träge das Meer. Hockney, dachte Ted. Diebenkorn. John Moore. In der Ferne ruhte wohlwollend der Vesuv. Ted stellte sich vor, wie die etwas andere Version von Susan an seiner Seite das alles in sich aufnahm.
    »Das ist die schönste Aussicht auf Neapel«, sagte Sasha herausfordernd, aber Ted spürte, dass sie gespannt auf seine Zustimmung wartete.
    »Es ist eine herrliche Aussicht«, versicherte er und fügte, als sie durch die mit Bäumen bestandenen Wohnstraßen schlenderten, hinzu: »Das ist die schönste Gegend, die ich in Neapel gesehen habe.«
    »Hier wohne ich«, sagte Sasha. »Ein paar Straßen weiter.«
    Ted war skeptisch. »Dann hätten wir uns doch hier oben treffen können. Und du hättest nicht in die Stadt zu kommen brauchen.«
    »Du hättest es wohl kaum gefunden«, sagte Sasha. »Ausländer sind in Neapel hilflos. Die meisten werden ausgeraubt.«
    »Bist du keine Ausländerin?«
    »Im Prinzip schon«, sagte Sasha. »Aber ich kenne mich aus.«
    Sie kamen an eine Kreuzung, die proppenvoll war, es mussten Studenten sein (seltsam, dass sie überall gleich aussahen): Jungen und Mädchen in schwarzen Lederjacken, die auf Vespas fuhren, auf Vespas herumlümmelten, auf Vespas hockten und sogar standen. Von der Masse an Vespas dröhnte der ganze Platz, und die Abgase wirkten auf Ted wie eine sanfte Droge. In der Abenddämmerung tanzte eine Reihe von Palmenbäumen vor einem Bellini-Himmel. Sasha bahnte sich mit angespannter Befangenheit, die Augen starr geradeaus gerichtet, einen Weg durch die Studenten.
    In einem Restaurant am Platz bat sie um einen Fenstertisch und bestellte das Essen: frittierte Zucchiniblüten und danach Pizza. Wieder und wieder schaute sie hinaus zu den Jugendlichen auf ihren Vespas. Es war schmerzhaft klar, dass sie sich zu ihnen hinaus sehnte. »Kennst du irgendwelche von diesen jungen Leuten?«, fragte Ted.
    »Es sind Studenten«, sagte sie wegwerfend, als sei das Wort ein Synonym für »niemanden«.
    »Sie sehen aus, als wären sie in deinem Alter.«
    Sasha zuckte mit den Schultern. »Die meisten wohnen noch zu Hause«, sagte sie. »Erzähl mal von dir, Onkel Teddy. Bist du noch immer Professor für Kunstgeschichte? Inzwischen musst du doch ein Experte sein.«
    Ted, der ihr Gedächtnis erneut beunruhigend fand, verspürte den Druck, der immer in ihm aufstieg, wenn er versuchte, über seine Arbeit zu sprechen, und die Verwirrung darüber, was ihn damals getrieben hatte, seine Eltern zu enttäuschen und einen Berg von Schulden aufzutürmen, um eine Dissertation schreiben zu können, in der er (in einem atemlosen Tonfall, der ihm jetzt peinlich war) die These verfocht, Cézannes charakteristische Pinselstriche seien der Versuch, in seinen Sommerlandschaften Klang darzustellen – nämlich den hypnotischen Gesang der Heuschrecken.
    »Ich schreibe über den Einfluss griechischer Bildhauerei auf die französischen Impressionisten«, sagte er und versuchte, lebhaft zu klingen, aber alles fiel wie ein Ziegelstein zu Boden.
    »Deine Frau, Susan«, sagte Sasha. »Sie hat blonde Haare, ja?«
    »Ja, Susan ist blond …«
    »Meine Haare waren früher rot.«
    »Sie sind immer noch rot«, sagte er. »Rötlich.«
    »Aber nicht so wie früher.« Sie beobachtete ihn und wartete auf die Bestätigung.
    »Nein.«
    Sie schwieg. »Liebst du sie? Susan?«
    Diese kühle Frage traf Ted ganz in der Nähe des Solarplexus. »Tante Susan«, verbesserte er sie.
    Sasha sah aus wie bestraft. »Tante.«
    »Natürlich liebe ich sie«, sagte Ted ruhig.
    Das Essen wurde gebracht: Mit Büffelmozzarella drapierte Pizza, die Ted warm und butterweich durch die Kehle rann. Nach dem zweiten Glas Rotwein fing Sasha an zu reden. Sie war mit Wade von zu Hause durchgebrannt, dem Schlagzeuger der Pinheads (einer Band, zu der man offenbar nichts weiter erklären musste), die damals in Tokio auftraten. »Wir haben im Hotel Okura gewohnt, das war richtig schick«, sagte sie. »Es war April, dann ist in Japan die Kirschblüte, und jeder Baum war mit diesen rosa Blüten übersät, und darunter sangen und tanzten Geschäftsmänner, die Papierhüte

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