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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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Gesicht. Sie sah aus wie eine junge Frau, die ein Jahrhundert zuvor nicht lange gelebt hätte oder im Kindbett gestorben wäre. Eine junge Frau, deren federleichte Knochen nicht richtig heilen konnten.
    »Du wohnst hier?«, fragte er. »In Neapel?«
    »In einer schöneren Gegend«, sagte Sasha mit einem Anflug von Snobismus. »Was ist mit dir, Onkel Teddy? Wohnst du noch immer in Mount Gray, New York?«
    »Stimmt«, sagte er, erstaunt, dass sie das noch wusste.
    »Ist dein Haus sehr groß? Habt ihr viele Bäume? Eine Autoreifenschaukel?«
    »Jede Menge Bäume. Eine Hängematte, die niemand benutzt.«
    Sasha blieb stehen und schloss die Augen, wie um sich das vorzustellen. »Du hast drei Söhne«, sagte sie. »Miles, Ames und Alfred.«
    Sie hatte recht, sogar die Reihenfolge stimmte. »Es überrascht mich, dass du das noch weißt«, sagte Ted.
    »Ich weiß noch alles«, sagte Sasha.
    Sie war vor einem der heruntergekommenen Palazzi, dessen Wappen mit einem gelben Smiley übermalt worden war, das Ted makaber fand, stehen geblieben. »Hier wohnen meine Freunde«, sagte sie. »Auf Wiedersehen, Onkel Teddy. Es war schön, dich zufällig zu treffen.« Sie schüttelte seine Hand mit feuchten, spinnenhaften Fingern.
    Ted, der auf diesen abrupten Abschied nicht vorbereitet war, geriet ins Stottern. »Warte, hör mal … kann ich dich nicht zum Essen einladen?«
    Sasha legte den Kopf schräg und sah ihm forschend in die Augen. »Ich hab schrecklich viel zu tun«, sagte sie, wie um sich zu entschuldigen. Doch dann behielt ein tieferer, unbesiegbarer Wille zur Höflichkeit die Oberhand: »Obwohl. Heute Abend habe ich Zeit.«
    Erst als Ted die Tür seines Hotelzimmers aufstieß und das Gemisch aus beigen Farbtönen der fünfziger Jahre ihn begrüßte wie nach all den Tagen, die er nicht mit der Suche nach Sasha verbracht hatte, wurde ihm mit voller Wucht bewusst, wie vollkommen abwegig das eigentlich war. Es war Zeit für seinen täglichen Anruf bei Beth, und er stellte sich den verdutzten Jubel seiner Schwester angesichts der umwerfend guten Neuigkeiten dieses Tages vor: Nicht nur hatte er ihre Tochter ausfindig gemacht, Sasha hatte noch dazu sauber, einigermaßen gesund und geistig klar ausgesehen und schien sogar Freunde zu haben. Kurz gesagt, besser, als sie es überhaupt hatten erwarten dürfen. Und doch empfand Ted keinerlei Freude darüber. Warum nur?, fragte er sich, als er mit verschränkten Armen flach auf seinem Bett lag und die Augen schloss. Warum diese Sehnsucht nach gestern, noch nach heute Morgen – nach dem relativen Frieden, den ihm das Bewusstsein verschafft hatte, Sasha suchen zu müssen, ohne dass er es tatsächlich tat? Er wusste es nicht. Er wusste es nicht.
    Die Ehe von Beth und Andy war in dem Sommer, in dem Ted bei ihnen am Michigansee gewohnt hatte, weil er eine Baustelle zwei Meilen weiter oben am See leitete, auf spektakuläre Weise in die Brüche gegangen. Am Ende des Sommers hatte es nicht nur die Ehe, sondern auch die Porzellanschale getroffen, die Ted Beth zum Geburtstag geschenkt hatte, dazu kamen allerlei Möbelstücke, Beths linke Schulter, die Andy zweimal ausgerenkt, und ihr Schlüsselbein, das er gebrochen hatte. Wenn sie sich fetzten, ging Ted mit Sasha durch das rasierklingenscharfe Gras am Ufer nach draußen. Sasha hatte lange rote Haare und eine bläulich weiße Haut, die Beth immer vor dem Verbrennen zu beschützen versuchte. Ted nahm die Angst seiner Schwester ernst und nahm immer Sonnencreme mit, wenn sie hinausgingen – der Sand war am späten Nachmittag so heiß, dass Sasha nicht ohne zu schreien darauf herumlaufen konnte. Er nahm sie auf den Arm, leicht wie eine Katze in ihrem rot-weißen Badeanzug, setzte sie auf ein Handtuch und rieb ihr Sonnencreme auf Schultern und Rücken und Gesicht, auf die winzige Nase – Sasha musste damals ungefähr fünf gewesen sein – und fragte sich, was aus ihr werden sollte, wo sie zwischen so viel Gewalttätigkeit groß wurde. Er bestand darauf, dass sie in der Sonne ihre weiße Matrosenmütze trug, obwohl sie das nicht wollte. Er studierte damals noch Kunstgeschichte und arbeitete als Subunternehmer, um sich das Studium zu verdienen.
    »Sub-un-ter-neh-mer«, wiederholte Sasha gewissenhaft. »Was ist das?«
    »Na ja, er beaufsichtigt die Arbeiter beim Bau eines Hauses.«
    »Sind da auch Fußbodenschleifer da?«
    »Aber sicher doch. Kennst du irgendwelche Fußbodenschleifer?«
    »Einen«, sagte sie. »Er hat den Boden in unserem Haus

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