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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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gebrochen, wenn das passiert ist, aber jetzt will niemand mit dir kämpfen – die Tatsache, dass du dir vor drei Monaten mit einem Dosenöffner die Handgelenke aufgeschlitzt hast und fast verblutet wärst, scheint abschreckend zu wirken, wie ein Kraftfeld, das alle lähmt, die sich dir mit einem ermutigenden Lächeln auf den Lippen nähern. Du würdest gern einen Spiegel hochhalten und fragen: Und wie genau soll dieses Lächeln mir wohl helfen?
    »Kein Mensch raucht Dope und wird Präsident, Drew«, sagst du. »So weit wird es niemals kommen.«
    »Ich bin noch im Stadium jugendlicher Experimente«, sagt er mit einem Ernst, der bei jedem, der nicht aus Wisconsin stammt, lächerlich wirken würde. »Außerdem«, sagt er, »wer soll es ihnen schon verraten?«
    »Ich«, sagst du.
    »Ich liebe dich auch, Rob«, sagt Drew lachend.
    Wer hat behauptet, dass ich dich liebe?, hättest du fast gefragt.
    Drew hebt Sashas Haare auf und zwirbelt sie zusammen. Er küsst ihren Hals. Du stehst auf und kochst vor Wut. Die Wohnung von Bix und Lizzie ist winzig, wie eine Puppenstube, voller Pflanzen und Pflanzengeruch (nass und grün), denn Lizzie liebt Pflanzen. Die Wände sind bedeckt mit Bix’ Sammlung von Plakaten, die das Jüngste Gericht zeigen – nackte babyhafte Menschen werden in Gut und Schlecht geschieden, die Guten steigen zu grünen Weiden und goldenem Licht auf, die Schlechten verschwinden im Rachen von Monstern. Das Fenster steht weit offen, und du kletterst hinaus auf die Feuerleiter. Die Märzkälte lässt deine Nebenhöhlen kribbeln.
    Und schon steht Sasha bei dir auf der Feuerleiter. »Was machst du denn hier?«, fragt sie.
    »Keine Ahnung«, sagst du. »Frische Luft.« Du fragst dich, wie lange du wohl in Sätzen aus zwei Wörtern reden kannst. »Schön heute.«
    Auf der anderen Seite der East Seventh Street haben zwei alte Damen gefaltete Badetücher auf ihre Fensterbänke gelegt und stützen ihre Ellbogen darauf, während sie die Straße unter sich beobachten. »Schau mal«, sagst du und zeigst hinüber. »Zwei Spioninnen.«
    »Das macht mich nervös, Bobby«, sagt Sasha. »Wenn du hier draußen stehst.« Sie ist die Einzige, die dich so nennen darf, bis zu deinem zehnten Geburtstag warst du »Bobby«, aber deinem Alten zufolge ist es danach ein Mädchenname.
    »Wieso denn?«, fragst du. »Zweiter Stock. Gebrochener Arm. Gebrochenes Bein. Schlimmer nicht.«
    »Bitte, komm rein.«
    »Abregen, Sash.« Du lässt dich auf der Metallleiter nieder, die zu den Fenstern des dritten Stocks hochführt.
    »Partyauswanderer hier draußen?« Drew zwängt sich durch das Wohnzimmerfenster hinaus auf die Feuerleiter und beugt sich über das Geländer, um auf die Straße hinunterzuschauen. Aus der Wohnung hörst du, wie Lizzie ans Telefon geht – »Hallo, Mom!« – und dabei versucht, das Dope aus ihrer Stimme zu pusten. Ihre Eltern sind aus Texas zu Besuch, und deswegen muss Bix, der schwarz ist, die Nächte in dem elektrotechnischen Labor verbringen, wo er für seine Doktorarbeit forscht. Dabei wohnen Lizzies Eltern nicht einmal bei ihr – sie wohnen in einem Hotel! Aber wenn Lizzie in derselben Stadt, in der ihre Eltern sich aufhalten, mit einem Schwarzen schläft, dann kriegen sie das einfach mit.
    Lizzie schiebt ihren Oberkörper aus dem Fenster. Sie trägt einen winzigen blauen Rock und braune Lacklederstiefel, die bis über die Knie hinauf reichen. In Gedanken ist sie schon Modezeichnerin.
    »Was macht die Scheinheilige?«, fragst du und bist betrübt, weil dieser Satz vier Wörter hat.
    Lizzie fährt zu dir herum und läuft rot an. »Soll damit meine Mutter gemeint sein?«
    »Das nicht.«
    »So kannst du in meiner Wohnung nicht reden, Rob«, sagt sie und spricht mit der beherrschten Stimme, mit der seit deiner Rückkehr aus Florida alle sprechen, einer Stimme, die dir keine Wahl lässt, als auszutesten, wie weit du gehen musst, bis sie die Beherrschung verlieren.
    »Nicht drin.« Du zeigst auf die Feuerleiter.
    »Oder auf meiner Feuerleiter.«
    »Nicht deine«, korrigierst du sie. »Auch Bix’. Oder, nein. Der Stadt.«
    »Scheiß auf dich, Rob«, sagt Lizzie.
    »Dich auch«, grinst du, weil du dich über die Anzeichen von echter Wut in einem Menschengesicht freust. Die hast du länger nicht mehr gesehen.
    »Reg dich ab«, sagt Sasha zu Lizzie.
    »Entschuldigung? Ich soll mich abregen?«, fragt Lizzie. »Der ist doch das totale Arschloch. Seit er wieder da ist.«
    »Das sind erst zwei Wochen«, sagt Sasha.
    »Ich

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