Der größere Teil der Welt - Roman
erfahren hatte, dass sie mit Bennie Salazar verheiratet war.
Nachdem die Wunden verbunden und die Ordnung wieder hergestellt war, küsste Lupa Bennie auf den Kopf (sein Kennzeichen, seine struppige Mähne, war jetzt silbern) und sagte: »Ich warte noch immer darauf, dass du Scotty auflegst.«
Bennie lächelte zu seiner viel jüngeren Frau hoch. »Den habe ich mir aufgespart«, sagte er. Dann griff er zu seinem Smartpad und entlockte der gewaltigen Anlage (die Alex die Musik förmlich durch die Poren zu pumpen schien) einen erbärmlichen Sänger, begleitet von einer verzerrten, nachhallenden Slide-Gitarre. »Wir haben das vor zwei Monaten herausgebracht«, sagte Bennie. »Hast du von ihm gehört, Scotty Hausmann? Bei den Patschern kommt er gut an.«
Alex schaute kurz zu Rebecca hinüber, die sich über den Begriff »Patscher« ärgerte und höflich, aber energisch alle zurechtwies, die damit Cara-Ann bezeichneten. Zum Glück hatte seine Frau aber nichts gehört. Jetzt, wo Seesterne oder Kiddie-Smartpads allgegenwärtig waren, konnte jedes Kind, das gezielt patschen konnte, damit Musik herunterladen – das jüngste war angeblich ein drei Monate altes Baby in Atlanta, das einen Song der Nine Inch Nails mit dem Titel »Gaga« gekauft hatte. Fünfzehn Kriegsjahre hatten mit einem Babyboom geendet, und diese Babys hatten nicht nur eine tote Industrie wiederbelebt, sondern waren zu denjenigen geworden, die über musikalischen Erfolg entschieden. Bands blieb nichts anderes übrig, als sich für die Vorverbalen neu zu erfinden, sogar Biggie hatte ein weiteres posthumes Album veröffentlicht, dessen Titelstück, ein Remix des Biggie-Standards »Fuck you bitch« klang wie »You’re big, Chief!«, und auf dem Bild dazu hielt Biggie ein Kleinkind auf dem Arm und trug einen indianischen Federschmuck. Seestern bot noch andere Möglichkeiten – Fingergrafiken, GPS -Systeme für Babys, die gerade laufen lernen, PicMail – aber Cara-Ann hatte bisher keins in der Hand gehabt, und Rebecca und Alex waren übereingekommen, damit zu warten, bis sie fünf wäre. Sie benutzten ihre eigenen Smartpads nur selten, wenn Cara-Ann dabei war.
»Hör dir diesen Typen an«, sagte Bennie. »Hör ihn dir einfach an.«
Das klagende Vibrato, das quengelige Tremolo der Slide-Gitarre – für Alex klang es schrecklich. Aber immerhin war das Bennie Salazar, der vor so vielen Jahren die Conduits entdeckt hatte. »Was hörst du denn?«, fragte Alex ihn.
Bennie schloss die Augen, bis zu den Zehenspitzen mit allen Sinnen am Akt des Zuhörens beteiligt. »Er ist absolut kompromisslos«, sagte er. »Unverfälscht.«
Alex schloss ebenfalls die Augen. Sofort verdichteten sich die Geräusche in seinen Ohren. Hubschrauber, Kirchturmglocken, in der Ferne ein Bohrer. Der übliche Konfettiregen aus Hupen und Sirenen. Das Sirren der Deckenbeleuchtung über ihm, das Schwappen einer Geschirrspülmaschine. Cara-Anns schläfriges »Nein«, während Rebecca ihr den Pullover anzog. Sie waren dabei, aufzubrechen. Alex erfasste ein Anflug von Panik bei der Vorstellung, seinen Brunch bei Bennie Salazar mit leeren Händen verlassen zu müssen.
Er öffnete die Augen. Bennies waren schon offen, sein brauner ruhiger Blick fest auf Alex’ Gesicht gerichtet. »Ich glaube, du hörst, was ich auch höre, Alex«, sagte er. »Hab ich recht?«
An diesem Abend entzog sich Alex, als Rebecca und Cara-Ann schon fest schliefen, der breiigen Wärme des gemeinsamen Bettes in seinem Schaum aus Moskitonetzen und ging ins Wohnzimmer/Spielzimmer/Gästezimmer/Büro. Wenn er an das mittlere Fenster trat und geradeaus nach oben schaute, konnte er die Spitze des an diesem Abend in Rot und Gold angestrahlten Empire State Building sehen. Diese Aussicht war ein wesentliches Verkaufsargument gewesen, damals, vor vielen Jahren, als Rebeccas Eltern ihr gleich nach dem Crash dieses kleine Apartment im Garment District gekauft hatten. Alex und Rebecca hatten die Wohnung verkaufen wollen, als Rebecca schwanger geworden war, aber dann hatten sie erfahren, dass das niedrige Gebäude, auf das ihr eigenes Haus herunterschaute, von einem Bauunternehmer gekauft worden war. Dieser hatte vor, es abzureißen und einen Wolkenkratzer zu errichten, der ihnen jegliches Licht und jegliche Luft nehmen würde. Damit war die Wohnung unverkäuflich geworden. Und jetzt, zwei Jahre später, hatte der Wolkenkratzer endlich begonnen zu wachsen, was Alex mit Angst und Untergangsgefühlen, aber auch mit einer
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