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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Kapitel 1
    ››Sehr schön, sehr schön‹‹, murmelte Dr. Kahles, der sich dicht über Lina gebeugt hatte. Sein Atem roch nach Leberwurst. »Ich könnte dir sieben Gulden und zehn Schilling dafür zahlen.«
    Lina schloss ihren Mund. Der Hunger zog ihre Magenwände zusammen und wütete wie ein lebendiges Tier in ihren Eingeweiden. Der Hunger und die Angst. Dennoch bemühte sie sich um eine feste Stimme.
    »Zehn«, sagte sie. »Zehn Gulden.«
    Dr. Kahles richtete sich auf. »Zehn? Hör mal, junges Fräulein, ich bin doch nicht der Graf von Rantzau. Kannst froh sein, dass ich überhaupt noch für echte Zähne zahle. Heutzutage wollen sie doch alle künstliche Gebisse aus Porzellan. Ich gebe dir acht Gulden. Das sind zwei Gulden pro Zahn.«
    Linas Herz pochte laut, kurz hielt sie die Luft an. Am liebsten wäre sie aus dem hohen Stuhl mit den plüschgepolsterten Armlehnen aufgesprungen. Aber sie zwang sich sitzen zu bleiben. Ihr Blick huschte durch den Raum, erfasste den Spucknapf neben ihr und den Kabinettschrank mit den vielen Fächern. Auf dem kleinen Schreibtisch lagen ein zusammengeklapptes, angebissenes Wurstbrot und eine aufgeschlagene Zeitung. Durch das Fenster vor ihr erblickte sie die roten Ziegeldächer von Klütz, etwas dahinter erhob sich der quadratische Kirchturm. Deutlich konnte sie das achtseitige Helmdach, die »Bischofsmütze«, auf dem Turm erkennen. Und noch weiter dahinter, viel weiter, war das Meer, aber das konnte sie von hier aus nicht sehen.
    Acht Gulden. Damit würden Rieke und sie eine Weile auskommen können.
    Sie hatte ihrer Schwester nicht erzählt, was sie vorhatte. Rieke würde es früh genug erfahren. Denn wie so viele arme Leute wollte auch Lina ihre Zähne an einen Zahnarzt verkaufen, der daraus Gebisse für die Reichen machte. Gesunde, schöne Vorderzähne wurden gut bezahlt. Und zum Kauen hatte man dann immer noch die Backenzähne.
    Lina holte tief Luft, dann nickte sie. »Also gut«, sagte sie. »Acht Gulden. Und … und das Brot da.« Sie deutete auf das Wurstbrot.
    Dr. Kahles hob die Schultern und schaute sie an. »Meinetwegen. Aber beeil dich.«
    Das ließ sich Lina nicht zweimal sagen. Rasch stand sie auf, griff nach dem Brot, teilte es in der Hälfte und stopfte sich die belegte Stulle in den Mund. Sie kaute kaum, so eilig hatte sie es, ihren hohlen Magen endlich wieder zu füllen.
    »Langsam, langsam, schling doch nicht so! Du verschluckst dich noch.« Für einen Augenblick hatte Lina den Eindruck, als sähe Dr. Kahles sie mitleidig an. »Hast wohl lange nichts mehr gegessen, was?«
    Lina antwortete nicht. Während sie das Brot in sich hineinstopfte, fiel ihr Blick auf die aufgeschlagene Zeitungsseite. »Grevesmühlener Wochenblatt«, stand in großen Lettern oben auf der Seite. Ein Möbelfabrikant empfahl sich seinen Kunden. Ein neues Tanzlokal sollte eingeweiht werden. Eine Anzeige suchte nach Auswanderern. Ein trauriges Lächeln glitt über ihr Gesicht. Papa hatte auch auswandern wollen, nach Amerika. Schon als Mutter noch lebte. Aber mit seinem mageren Schulmeistergehalt hatte er nicht genug Geld für die Reise zusammenbekommen. Und dann war er vor wenigen Wochen gestorben.
    Die Hälfte des Brotes war verschlungen. Lina hätte gern weitergegessen, aber sie bezwang sich. Den Rest packte sie in ihren Schal und legte ihn zurück auf den Tisch. Das würde sie Rieke mitbringen.
    »So, junges Fräulein«, sagte Dr. Kahles. »Dann wollen wir mal.«
    In Lina zog sich alles zusammen. Am liebsten wäre sie fortgelaufen. Aber in ein paar Minuten wäre alles vorbei. Dann hätte sie acht Gulden in der Tasche. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Ob sich wohl je ein junger Mann für sie interessieren würde, wenn sie keine Schneidezähne mehr hatte? Sie ballte die Fäuste. Es half ja nichts. Sie brauchten das Geld.
    Mit weichen Knien setzte sie sich erneut in den Stuhl. Als sie die Zange sah, begann sie zu zittern. Angst schwappte wie eine heiße Woge über sie. Sie schloss die Augen und klammerte die verkrampften Hände in den abgewetzten Plüsch der Armlehnen. Tränen liefen ihr über das Gesicht, obwohl sie sie zurückzuhalten versuchte. Mama, flehte sie stumm. Papa! Bitte, helft mir, wo immer ihr jetzt seid!
    Sie roch Dr. Kahles’ massigen Körper über sich und versuchte, sich ganz klein zu machen.
    »Mund auf!«
    Etwas Hartes, Kaltes berührte ihren oberen rechten Schneidezahn. Gleich. Gleich würde es wehtun.
    »Zu groß«, brummte Dr. Kahles. »Ich brauche eine kleinere

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