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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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gerade eben.
    »Soll ich mir welche auf die Zunge legen, wie du das gemacht hast?«, fragte er seinen Sohn.
    »Ja. Aber ich will auch welche.«
    »Sasha, möchtest du ein bisschen Medizin probieren?«, fragte Bennie.
    »Hm, na gut«, sagte sie. »Wogegen soll die denn helfen?«
    »Lösen deine Probleme«, sagte Bennie. »Ich meine, Kopfschmerzen. Auch wenn du keine hast.«
    »Nie«, sagte Sasha und lächelte weiterhin skeptisch.
    Jeder nahm eine Prise Goldflocken und legte sie sich auf die Zunge. Bennie versuchte, nicht zu berechnen, wie viele Dollar das wert war, was sie da im Mund hatten. Er konzentrierte sich auf den Geschmack. War er wirklich metallisch, oder lag das nur an seiner Erwartung? War es Kaffee, oder lag das an den Resten in seinem Mund? Er schob mit der Zunge das Gold zu einem dichten Klumpen zusammen und sog den Saft heraus: Sauer, dachte er. Bitter. Oder süß? Der Reihe nach schien es von allem etwas zu sein, aber am Ende hatte Bennie den Eindruck von etwas Mineralischem, wie Stein. Oder sogar Erde. Und dann war der Klumpen geschmolzen.
    »Ich muss jetzt los, Dad«, sagte Chris. Bennie ließ ihn aussteigen und drückte ihn an sich. Wie immer hielt Chris in seiner Umarmung ganz still, doch Bennie wusste nie, ob er sie genoss oder ertrug.
    Er trat einen Schritt zurück und sah seinen Sohn an. Das Baby, das er und Stephanie geküsst und mit dem sie geschmust hatten – und jetzt diese schmerzliche, geheimnisvolle Erscheinung. Bennie hätte fast gesagt, sag deiner Mutter nichts von dem Medikament; er sehnte sich nach einem Moment der Nähe zu Chris, ehe der ins Haus ging. Aber er zögerte, überdachte, wie er es von Dr. Beet gelernt hatte, die Situation, bevor er handelte. Glaubte er wirklich, der Kleine werde Stephanie von dem Gold erzählen? Nein. Und er musste sich davor hüten, eine Bindung durch Vertrauensmissbrauch herstellen zu wollen. Also sagte Bennie nichts.
    Er ging zurück zum Wagen, drehte den Zündschlüssel aber nicht um. Er sah zu, wie Chris den wogenden Rasen zu seinem ehemaligen Haus hochlief. Das Gras leuchtete hell. Sein Sohn krümmte sich unter seinem riesigen Rucksack. Was zum Teufel hatte er darin? Bennie hatte schon Profifotografen mit weniger Gepäck gesehen. Als Chris sich dem Haus näherte, verschwammen seine Konturen ein wenig, vielleicht tränten auch nur Bennies Augen. Bennie fand es entsetzlich, die lange Reise seines Sohnes zur Haustür mit ansehen zu müssen. Er hatte Angst, Sasha könne den Mund aufmachen und etwas sagen wie Er ist ein toller Junge oder Das hat Spaß gemacht – etwas, das Bennie zwingen würde, sich ihr zuzuwenden und sie anzusehen. Aber Sasha war nicht dumm, sie wusste Bescheid. Sie saß schweigend neben Bennie und sah zu, wie Chris durch das saftige helle Gras zur Haustür stapfte, diese ohne zurückzuschauen öffnete und ins Haus ging.
    Sie sagten erst wieder etwas, als sie vom Henry Hudson Parkway auf den West Side Highway abgebogen waren und nach Lower Manhattan reinfuhren. Bennie ließ frühe Songs von The Who und den Stooges laufen, Bands, die er schon gehört hatte, als er noch zu jung gewesen war, um auf Konzerte zu gehen. Dann wechselte er zu Flipper über, den Mutants und Eye Protection – Bay Area-Gruppen aus den Siebzigern, zu denen er und seine Clique im Mabuhay Gardens abgefahren waren, wenn sie nicht mit ihrer eigenen unerträglich anzuhörenden Band, den Flaming Dildos, probten. Er merkte, dass Sasha zuhörte, und überlegte, ob er ihr seine Desillusionierung gestehen sollte – seinen totalen Hass auf die Branche, der er sein ganzes Leben gewidmet hatte. Als er anfing, hatte er jede musikalische Entscheidung erst genau abgewogen und seine Verkaufsargumente aus den Stücken selber geholt – Patti Smiths raue Poesie (warum hatte sie eigentlich aufgehört?), der muskelprotzende Hardcore von Black Flag und den Circle Jerks, der dann von Alternative Rock abgelöst wurde, diesem gewaltigen Kompromiss, und von da an war es immer weiter abwärtsgegangen bis zu den Singles, die er erst heute allerlei Sendern angeboten hatte, bloße Musikhülsen, leblos und kalt wie die Vierecke aus Büroneon, die sich von der blauen Dämmerung abhoben.
    »Es ist unglaublich«, sagte Sasha, »dass da einfach nichts mehr ist.«
    Überrascht drehte Bennie sich zu ihr um. Konnte es sein, dass sie seinem musikalischen Lamento bis zu dessen bitterem Ende gefolgt war? Sasha schaute zum Stadtzentrum hinüber, und er folgte ihrem Blick zu der leeren Stelle, wo die

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