Der größere Teil der Welt - Roman
und Bennie den Namen ändern, besprüht Scotty seinen Gitarrenkasten und Bennies Basskasten mit schwarzer Farbe, macht eine Schablone für den neuen Namen und sprüht ihn auf. Wir wissen nicht, wie sie entscheiden, ob sie einen Namen behalten, denn Bennie und Scotty reden nie miteinander. Aber sie sind immer einer Meinung, vielleicht durch Gedankenübertragung. Jocelyn und ich schreiben alle Texte und erarbeiten mit Bennie und Scotty die Melodien. Wir sind bei den Proben dabei, aber wir sind nicht gern auf der Bühne. Alice auch nicht – das ist unsere einzige Gemeinsamkeit.
Bennie ist im vorigen Jahr von einer Highschool in Daly City zu uns gewechselt. Wir wissen nicht, wo er wohnt, aber manchmal besuchen wir ihn nach der Schule auf seiner Arbeit bei Revolver Records in der Clement Street. Wenn Alice mitkommt, macht Bennie Pause, und wir teilen uns in der chinesischen Bäckerei nebenan einen mit Schweinefleisch gefüllten Kloß, während der Nebel vor den Fenstern vorüberweht. Bennie hat hellbraune Haut und wunderschöne Augen, und er stellt seine Haare zu einem Iro auf, der so leuchtend schwarz ist wie eine frisch gepresste Schallplatte. Meistens schaut er Alice an, deshalb kann ich ihn betrachten, so viel ich will.
Am Ende des Wegs von der Boxengasse hängen die Cholos herum, mit ihren schwarzen Ledermänteln, den klappernden Absätzen und den dunklen Haaren in fast unsichtbaren Netzen. Manchmal sprechen sie Bennie auf Spanisch an, und er lächelt sie an, gibt aber nie eine Antwort. Warum sprechen die immer wieder Spanisch mit ihm?, frage ich Jocelyn, und sie schaut mich an und sagt, Rhea, Bennie ist auch ein Cholo. Ist das nicht offensichtlich?
Das ist doch Wahnsinn, sage ich, und mein Gesicht wird heiß. Er hat einen Irokesen. Und er ist nicht mal mit ihnen befreundet.
Jocelyn sagt, nicht alle Cholos sind miteinander befreundet. Die gute Nachricht ist, reiche Mädchen gehen nicht mit Cholos. Also wird er Alice nie kriegen, Schluss, aus.
Jocelyn weiß, dass ich auf Bennie warte, aber Bennie wartet auf Alice, die auf Scotty wartet, der auf Jocelyn wartet, die Scotty am längsten kennt und bei der er sich offenbar sicher fühlt, denn obwohl auch Scotty attraktiv ist, mit gebleichten Haaren und einer muskulösen Brust, die er gern entblößt, wenn die Sonne scheint, ist seine Mutter vor drei Jahren an Schlaftabletten gestorben. Scotty ist seither stiller und zittert bei kaltem Wetter, als ob ihn jemand schüttelte.
Jocelyn liebt Scotty ebenfalls, aber sie ist nicht in ihn verliebt. Jocelyn wartet auf Lou, einen erwachsenen Mann, der sie beim Trampen mitgenommen hat. Lou lebt in L.A. , hat aber versprochen, anzurufen, wenn er das nächste Mal in San Francisco ist. Das ist jetzt Wochen her.
Keiner wartet auf mich. In dieser Geschichte bin ich das Mädchen, auf das keiner wartet. Normalerweise sind das die dicken Mädchen, aber mein Problem ist ungewöhnlicher: Ich habe Sommersprossen. Ich sehe aus, als hätte jemand eine Handvoll Lehm auf mein Gesicht geschleudert. Als ich klein war, hat meine Mom mir erzählt, die Sommersprossen seien etwas Besonderes. Zum Glück werde ich sie entfernen können, wenn ich alt genug bin, um es selbst zu bezahlen. Bis dahin habe ich mein Hundehalsband und mein grün gefärbtes Haar, denn wie sollte irgendwer mich als »die mit den Sommersprossen« bezeichnen, wo meine Haare doch grün sind?
Jocelyn hat kurz geschorene schwarze Haare, die immer nass aussehen, und zwölf Ohrlöcher, die ich ihr mit einem spitzen Ohrstecker verpasst habe, ohne Eis. Sie hat ein wunderschönes, halb chinesisches Gesicht. Das macht viel aus.
Jocelyn und ich unternehmen seit der vierten Klasse alles zusammen: Himmel und Hölle spielen, Seilspringen, Armbandanhänger sammeln, vergrabene Schätze suchen, Harriet, die kleine Detektivin spielen, Blutsschwesternschaft schließen, Juxanrufe tätigen, Pot, Koks und Mantrax probieren. Sie hat meinen Dad vor unserem Haus in die Hecke kotzen sehen, und ich war in der Polk Street bei ihr, als sie in einem der Ledertypen, die vor dem White Swallow knutschten, ihren Dad erkannt hatte, der »auf Geschäftsreise« war, bevor er schließlich auszog. Ich kann es daher immer noch nicht fassen, dass ich den Tag verpasst habe, an dem sie diesen Lou kennenlernte. Sie wollte aus der Stadt nach Hause trampen, und er hielt in seinem roten Mercedes an und fuhr sie zu einer Wohnung, die er bei seinen Besuchen in San Francisco benutzt. Er schraubte eine Dose Deospray auf, und
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