Der größere Teil der Welt - Roman
weil ihr Vater, Lou, der auf einem Campingstuhl hinter ihnen sitzt (während sie mit Stöckchen im Staub herummalen), ein Schallplattenproduzent ist, dessen Privatleben allgemeines Interesse erregt, spitzen die, die nahe genug sitzen, die Ohren.
»Weißt du noch? Wie Mom und Dad noch auf einen Drink am Tisch geblieben sind …«
»Unmöglich«, schaltet ihr Vater sich ein und zwinkert dabei den Vogelbeobachterinnen zu seiner Linken zu. Die beiden Damen haben noch im Dunkeln Ferngläser umhängen, als hofften sie, in dem vom Feuerschein erhellten Baum über ihnen Vögel zu erspähen.
»Weißt du noch, Charlie? Wie warm der Strand noch war und was für ein irrer Wind wehte?«
Aber Charlie konzentriert sich auf die Beine ihres Vaters, die sich hinter ihr mit denen seiner Freundin Mindy verschlungen haben. Bald werden sie den anderen eine gute Nacht wünschen und sich in ihr Zelt zurückziehen, wo sie sich auf einem der schmalen wackligen Feldbetten oder vielleicht sogar auf dem Boden lieben werden. Vom Nachbarzelt aus, das sie mit Rolph teilt, kann Charlie sie hören – nicht gerade Geräusche, aber Bewegungen. Rolph ist zu jung, um etwas zu merken.
Charlie wirft den Kopf in den Nacken, was ihren Vater aufschrecken lässt. Lou ist Ende dreißig, sein Surfergesicht mit dem prägnanten Kinn ist unter den Augen schon ein wenig schlaff geworden. »Damals warst du noch mit Mom verheiratet«, belehrt sie ihn. Durch die Bewegung ihres Halses, den eine Kette aus Puka-Muscheln eng umschließt, klingt ihre Stimme ganz verzerrt.
»Ja, Charlie«, sagt Lou. »Das ist mir durchaus bekannt.«
Die ältlichen Vogelbeobachterinnen werfen sich ein trauriges Lächeln zu. Lou gehört zu der Sorte Mann, dessen rastloser Charme einen fast schon sichtbaren Kondensstreifen persönlicher Umwälzungen nach sich zieht: zwei gescheiterte Ehen und zwei weitere Kinder zu Hause in L.A. , die für diese dreiwöchige Safari zu jung waren. Die Safari ist ein neues Geschäftsunternehmen von Lous altem Armeekumpel Ramsey, mit dem er getrunken und sich danebenbenommen hat und vor fast zwanzig Jahren nur ganz knapp nicht nach Korea eingezogen wurde.
Rolph rüttelt seine Schwester an der Schulter. Er will, dass sie sich erinnert, alles noch einmal vor sich sieht: den Wind, den endlosen schwarzen Ozean, sie beide, die in die Dunkelheit spähen, als warteten sie auf ein Zeichen aus ihrem fernen Erwachsenenleben. »Weißt du noch, Charlie?«
»Klar«, sagt Charlie und kneift die Augen zusammen. »Das weiß ich noch.«
Die Samburu-Krieger sind eingetroffen – vier an der Zahl, zwei von ihnen hatten Trommeln, im Schatten hütet ein Kind ein Watussi-Rind. Sie sind auch gestern gekommen, nach der morgendlichen Ausfahrt, als Lou und Mindy »ein Nickerchen machten«. Und währenddessen hat Charlie mit dem schönsten der Krieger scheue Blicke ausgetauscht, er hat ein Muster aus Narbengewebe, das sich wie Bahngleise über seine kräftige Brust, die Schultern und seinen Rücken zieht.
Charlie steht auf und nähert sich den Kriegern: ein mageres Mädchen in Shorts und einem groben Baumwollhemd mit kleinen runden Holzknöpfen. Ihre Zähne stehen etwas schief. Als die Samburu auf ihre Trommeln schlagen, beginnen Charlies Krieger und ein anderer zu singen. Kehlige Stimmen, die tief aus ihren Bauchräumen zu kommen scheinen. Charlie vor ihnen wiegt sich hin und her. In diesen zehn Tagen in Afrika hat sie angefangen, sich wie ein anderes Mädchen zu verhalten – die Art Teenager, von der sie zu Hause eingeschüchtert ist. In einer Betonstadt, die sie einige Tage zuvor besucht haben, hat sie in einer Bar ein schlammig aussehendes Gebräu getrunken, und am Ende verschenkte sie in einer Hütte, die einer sehr jungen Frau gehörte, aus deren Brüsten Milch rann, ihre Schmetterlingsohrringe (ein Geburtstagsgeschenk ihres Vaters). Sie kam zu spät zu den Jeeps zurück; Albert, der für Ramsey arbeitet, musste sie suchen gehen. »Damit du schon mal vorbereitet bist«, warnte er sie. »Dein Dad ist kurz vorm Durchdrehen.« Charlie war das egal und ist es jetzt noch, sie nimmt es als Herausforderung, die unbeständige Aufmerksamkeit ihres Vaters auf sich zu lenken, und sie spürt seine Unruhe, während sie tanzt, allein, am Feuer.
Lou lässt Mindys Hand los und setzt sich auf. Er möchte den mageren Arm seiner Tochter packen und sie von diesen schwarzen Männern wegreißen, aber das tut er natürlich nicht. Dann hätte sie gewonnen.
Der Krieger lächelt Charlie zu. Er
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