Der große deutsche Märchenschatz
König des Landes starb, und seine junge schöne Witwe lieà nach der Trauerzeit bekanntmachen, sie werde demjenigen ihre Hand reichen und den Thron mit ihm teilen, der mit verbundenen Augen die aufgehängte Krone mit einer Lanze herabstechen werde. Das Goldhähnchen sang damals immerfort: »Wer mich isst, wird König! Wer mich isst, wird König!« Das gefiel dem Mann, der es gekauft hatte, und obgleich er nun auf die goldnen Eier verzichten musste, wenn er es verspeiste, so tötete er es doch, lieà es rupfen und mit bunter Seide bezeichnen, um es, gebraten, wiederzuerkennen, und gab der Köchin strengen Befehl, ja recht darauf acht zu haben. Er hatte viele Freunde zu einem festlichen Mahle geladen, damit ihm gleich gehuldigt werde, wenn er den Vogel gegessen und plötzlich König werde.
Während nun zu dem Festmahl alle möglichen Zurüstungen geschahen, kam der junge Mensch, der das Goldhähnchen verkauft hatte, als ein armer müÃiger Bettler vor das Haus und sprach die Köchin um ein Almosen oder ein Stück Brot an, und diese sagte: »Haben sollst du etwas, musst aber auch etwas tun!«, und dazu war jener gern bereit. Er holte Wasser, spaltete Holz zum Herdfeuer, drehte den Bratenwender und hatte acht auf die Vögel, die in der Pfanne brieten und darunter das Goldhähnchen auch war. Von ungefähr stieà er mit einem Stück Holz an die Pfanne, und da fiel das Goldhähnchen heraus in die glühenden Kohlen.
»Schad um das Vögelein!«, dachte der Jüngling, obschon er sehr erschrocken war, und schob es in den Mund und verspeiste es, obschon er sich tüchtig verbrannte. Er wusste es aber nicht, dass es
sein
ehemaliges Goldhähnchen gewesen. Als die Köchin in die Küche kam, zählte sie die Vögel, sah, dass eins fehlte, und jagte den neuen, ungetreuen Küchenbuben mit Schimpfen und Schelten von dannen, zeichnete aber geschwind einen andern kleinen Vogel und trug das Gericht ihrem Herrn auf. Dieser aà das gezeichnete Vöglein und sitzt heute noch und wartet, bis er König wird, und ärgert sich, dass er seine Freunde traktiert hat.
Der Fortgejagte schlich trübselig durch die StraÃen und bettelte vor der Türe eines Müllers. Dieser brauchte just einen Eseltreiber und verlieh diese Stelle dem armen Burschen; er durfte bei den Eseln im Stalle schlafen. Und siehe, am andern Morgen fand der Müller, als er anderes Stroh streute und das alte wegräumte, goldne Eier in dem Stroh, darauf sein Eseltreiber geschlafen hatte. Das gefiel ihm, und er dachte: »Den Burschen musst du lange behalten, das ist ein Goldfink, während der vorige ein Mistfink war.«
Jetzt kam der Tag des Kronenstechens, und da meinte der Eseltreiber, wenn jedermann stechen und sein Glück versuchen dürfte, möcht erâs auch wagen, bat den Müller um einen Speer und um ein Pferd. Der Müller lachte aus vollem Halse, doch dachte er, das gibt einen HauptspaÃ, gab ihm eine alte, lahme und spindeldürre Mähre und einen alten Speer und sandte ihn hin zum Stechen um die Königskrone.
Alles lachte, wie der wunderliche Ritter von der traurigen Gestalt dahergetrabt kam, und die Königin schaute unwillig drein, dass so ein armseliger Bursche sich zu dem Kronenstechen drängte, zu welchem sich so viele vornehme Ritter und Herren eingefunden; allein da sie das Kronenstechen einmal gänzlich freigegeben hatte, so durfte sie dasselbe nun nicht ausschlieÃlich machen.
Das Kampfspiel begann damit, dass ein Graf und ein Ritter nach dem andern nach der Krone mit verbundenen Augen stach, und keiner dieselbe erlangte; und es endete damit, dass der Eseltreiber so glücklich war, die Krone zu treffen und herabzustechen. Der Königin war das gar unlieb, allein sie musste des Eseltreibers Gemahlin werden, weil sie das einmal beschworen hatte, und so wurde derselbe König, und jener Müller, sein Herr, fand fürder keine Goldeier mehr im Stroh seines Stalles, sondern nur solche, wie sie die Esel legen.
Da die Königin ihren Gemahl nicht liebte, wegen seiner geringen Herkunft, so sann sie Tag und Nacht darauf, sich seiner zu entledigen. Sie nahm deshalb ihre nächste Zuflucht zu einer alten mächtigen Zauberin, und die gab ihr ein Kraut, das die Kraft hatte, die menschliche Gestalt in eine tierische zu verwandeln. Dieses Kraut mischte die böse Königin ihrem Gemahl und Herrn unter die Speise, und siehe, als
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