Der große deutsche Märchenschatz
wie ein Vogel in der Luft.« Der König aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schüsseln, Becher, Näpfe, die Vögel, das Gewild und die wunderbaren Tiere. Viele Stunden gingen herum, während sie alles besah, und in ihrer Freude merkte sie nicht, dass das Schiff dahinfuhr. Nachdem sie das Letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann und wollte heim; als sie aber an des Schiffes Rand kam, sah sie, dass es fern vom Land auf hohem Meere ging und mit vollen Segeln forteilte. »Ach«, rief sie erschrocken, »ich bin betrogen, ich bin entführt und in die Gewalt eines Kaufmanns geraten; lieber wolltâ ich sterben!« Der König aber fasste sie bei der Hand und sprach: »Ein Kaufmann bin ich nicht, ich bin ein König und nicht geringer an Geburt, als du bist: Aber dass ich dich mit List entführt habe, das ist aus übergroÃer Liebe geschehen. Das erste Mal, als ich dein Bildnis gesehen habe, bin ich ohnmächtig zur Erde gefallen.« Als die Königstochter vom goldenen Dache das hörte, ward sie getröstet, und ihr Herz ward ihm geneigt, sodass sie gerne einwilligte, seine Gemahlin zu werden.
Es trug sich aber zu, während sie auf dem hohen Meere dahinfuhren, dass der getreue Johannes, als er vorn auf dem Schiffe saà und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die dahergeflogen kamen. Da hörte er auf zu spielen und horchte, was sie miteinander sprachen; denn er verstand das wohl. Der eine rief: »Ei, da führt er die Königstochter vom goldenen Dache heim.« â »Ja«, antwortete der zweite, »er hat sie noch nicht.« Sprach der dritte: »Er hat sie doch, sie sitzt bei ihm im Schiffe.« Da fing der erste wieder an und rief: »Was hilft ihm das! Wenn sie ans Land kommen, wird ihm ein fuchsrotes Pferd entgegenspringen: Da wird er sich aufschwingen wollen, und tut er das, so sprengt es mit ihm fort und in die Luft hinein, dass er nimmermehr seine Jungfrau wiedersieht.« Sprach der zweite: »Ist gar keine Rettung?« â »O ja, wenn ein anderer schnell aufsitzt, das Feuergewehr, das in den Halftern stecken muss, herausnimmt und das Pferd damit totschieÃt, so ist der junge König gerettet. Aber wer weià das! Und werâs weià und sagtâs ihm, der wird zu Stein von den FuÃzehen bis zum Knie.« Da sprach der zweite: »Ich weià noch mehr, wenn das Pferd auch getötet wird, so behält der junge König doch nicht seine Braut: Wenn sie zusammen ins Schloss kommen, so liegt dort ein gemachtes Brauthemd in einer Schüssel und sieht aus, als wärâs von Gold und Silber gewebt, ist aber nichts als Schwefel und Pech: Wenn erâs antut, verbrennt es ihn bis aufs Mark und Knochen.« Sprach der dritte: Ist da gar keine Rettung?« â »O ja«, antwortete der zweite, »wenn einer mit Handschuhen das Hemd packt und wirft es ins Feuer, dass es verbrennt, so ist der junge König gerettet. Aber was hilftâs! Werâs weià und es ihm sagt, der wird halbes Leibes Stein vom Knie bis zum Herzen.« Da sprach der dritte: »Ich weià noch mehr, wird das Brauthemd auch verbrannt, so hat der junge König seine Braut doch noch nicht: Wenn nach der Hochzeit der Tanz anhebt, und die junge Königin tanzt, wird sie plötzlich erbleichen und wie tot hinfallen: Und hebt sie nicht einer auf und zieht aus ihrer rechten Brust drei Tropfen Blut und speit sie wieder aus, so stirbt sie. Aber verrät das einer, der es weiÃ, so wird er ganzes Leibes zu Stein vom Wirbel bis zur FuÃzehe.« Als die Raben das miteinander gesprochen hatten, flogen sie weiter, und der getreue Johannes hatte alles wohl verstanden, aber von der Zeit an war er still und traurig; denn verschwieg er seinem Herrn, was er gehört hatte, so war dieser unglücklich: Entdeckte er es ihm, so musste er selbst sein Leben hingeben. Endlich aber sprach er bei sich: »Meinen Herrn will ich retten, und solltâ ich selbst darüber zugrunde gehen.«
Als sie nun ans Land kamen, da geschah es, wie die Raben vorhergesagt hatten, und es sprengte ein prächtiger fuchsroter Gaul daher. »Wohlan«, sprach der König, »der soll mich in mein Schloss tragen«, und wollte sich aufsetzen, doch der treue Johannes kam ihm zuvor, schwang sich schnell darauf, zog das Gewehr aus den Halftern und schoss den Gaul nieder. Da riefen die andern Diener des Königs, die dem treuen
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