Der grosse eBook-Raetselkrimi
Buch 2
DIENSTAG, 24. APRIL 1945
München, 8.15 Uhr
I n der Nacht waren wieder Bomben auf die Münchner Altstadt niedergegangen. Die meisten historischen Gebäude lagen in Trümmern.
Christina Gerdens ging zu Fuß von der Wohnung des Parteigenossen in der Widenmayerstraße, in der sie ein Bett zugewiesen bekommen hatte, zur Bibliothek. Im Bett hatte sie allerdings nur zwei Stunden geschlafen, dann heulten die Sirenen, und alle Bewohner des Hauses mussten den Rest der Nacht im Luftschutzraum im Keller verbringen.
Als sie die Prinzregentenstraße entlangging, erinnerte sie sich daran, wie der Führer 1937 die Große Deutsche Kunstausstellung im Haus der Deutschen Kunst eröffnet hatte. War das erst acht Jahre her? Es war einer der wenigen Anlässe gewesen, zu denen er sie mitgenommen hatte. Er wusste um ihre Begeisterung für Malerei und Bildhauerei. Mit der Einladung hatte er sich für die endlosen Nächte revanchiert, in denen sie seine Gedanken und Anweisungen stenografiert und am nächsten Tag abgetippt hatte.
Christina Gerdens ging hinter dem Haus der Deutschen Kunst, aus dessen Westflügel es – wohl nach einem nächtlichen Treffer – rauchte, in den Englischen Garten. Sie durchquerte die Südspitze des Stadtparks und fand den kleinen Seitenausgang, den Mainhardt Roll ihr beschrieben hatte. Sie überquerte die Kaulbachstraße und ging durch die enge Schönfeldstraße bis zur Ludwigstraße vor. Rechts erkannte sie die vier Statuen auf dem Sockel. Das war die Bayerische Staatsbibliothek. Auch das riesige Gebäude hatte in der Nacht Treffer einstecken müssen. Offenbar im hinteren Teil. Von dort kamen dicke Rauchschwaden.
Sie stieg die Stufen des Eingangspodests hinauf und betrat die Halle. Die Pförtnerloge war leer. Der Pförtner rechnete wahrscheinlich nicht mit allzu vielen Besuchern. In Zeiten wie diesen hatten die Münchner andere Probleme als die, deren Lösung man in alten Büchern finden konnte.
Sie ging in den ersten Saal und fand diesen von Bombeneinschlägen verschont vor. Sie hoffte, dass dieser Zustand anhalten würde, bis der Krieg aus sei. Das konnte ja nur noch Tage dauern. Wochen, vielleicht. Sicher keine Monate. Das war ihr endgültig klargeworden, als sie mit Mainhardt im Allrad-Mercedes durch das zerstörte Berlin gefahren war. Und auch München mit seinen einst so fanatischen Bewohnern machte nicht den Eindruck, als würde die Bewegung von hier aus noch einmal Fahrt aufnehmen.
Sie drehte sich nach allen Seiten um. Außer ihr war niemand in dem von einer hohen Regalwand flankierten Lesesaal. Sie stellte ihre Handtasche auf einen der Tische und nahm das Buch heraus. Sie wickelte es aus dem Wachspapier und suchte einen Platz im Regal, an dem es so aussehen würde, als wäre es hier schon immer gestanden. Bald würden fremde Soldaten in diesem Saal sein. Sie sollten nicht auf das Buch aufmerksam werden.
»Ausleihe beendet. Auftrag Teil eins ausgeführt«, murmelte sie in Richtung des Ölgemäldes des Führers, das an der Stirnseite des langen Saales hing.
Dann trat sie hinaus auf die Ludwigstraße und ging zurück in die Widenmayerstraße. Sie holte ihren Rucksack aus der Wohnung und folgte der Isar flussaufwärts.
MONTAG, 9. JULI 2012
Auf der Zugspitze, 15.35 Uhr
Stephanie Gärtner betrachtete das Foto genauer. Mal drehte sie den Kopf nach links, um einen Titel zu lesen, dann drehte sie den Kopf nach rechts.
»Schauns, genauso hab ich das auch gemacht, als ich vor dem Regal stand: Habe den Kopf mal nach links und mal nach rechts gedreht. Nervt ganz schön, wenn man das bei gefühlten 2000 Büchern macht. Das reinste Hals-Yoga. Manche Titel auf dem Buchrücken laufen von unten nach oben – also muss man den Kopf zum Lesen nach links drehen. Andere Titel laufen umgekehrt von oben nach unten – also Kopf zum Lesen nach rechts drehen. Doch dann ist mir was aufgefallen: Ein Buch steht falsch herum im Regal. Ein einziges Buch - und zwar eines von denen hier auf dem Foto. Denn nach tausendmal Halsumdrehen war mir klar: Die Titel deutscher Bücher laufen von unten nach oben. Die Titel englischer Bücher aber von oben nach unten. Ist halt so, warum, weiß ich auch nicht. Und dieses Buch hier«, damit zeigte er auf Aries, Die Geschichte des Todes , »dieses Buch hat einen deutschen Titel, aber es steht wie ein englisches Buch im Regal: Die Schrift läuft von oben nach unten. Der SpuSi fällt so was nicht auf. Ihnen ist es auch nicht aufgefallen. Mir fällt so was auf. Dafür werde ich
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