Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
klein und eng. Die Luft wird schnell sehr heiß, so daß die Leute am Ende der Viertelstunde oft kaum noch atmen können.«
Noch unangenehmer war der »Kugel-Drill« – eine Übung, die so anstrengend war, daß Männer über fünfundvierzig im allgemeinen davon freigestellt wurden. Dabei mußten die Gefangenen einen Kreis mit drei Schritten Abstand von Mann zu Mann bilden. Auf ein bestimmtes Kommando hin hob jeder eine auf der Erde liegende Kanonenkugel von vierundzwanzig Pfund Gewicht auf, schleppte sie zum Platz seines Nachbarn, ließ sie fallen und kehrte zu seiner Ausgangsposition zurück, wo eine neue Kugel auf ihn wartete.
Diese »Übung« dauerte meist jeweils eine volle Stunde.
Am gefürchtetsten war aber »die Kurbel«, eine mit Sand gefüllte schwere Trommel, die mit einer Handkurbel gedreht werden mußte. An dieses Gerät stellte man Häftlinge, die man besonders bestrafen wollte.
Ein einziger Tag in Coldbath Fields war so zermürbend, daß eine kurze Haftzeit schon genügen könnte, einen Mann zu zerbrechen. So mancher hatte nach sechs Monaten »keinen Mumm mehr in den Knochen«, sein Körper war geschwächt, er war mit den Nerven am Ende, und seine Willenskraft war gebrochen – er war kaum noch fähig, irgendwelche neuen Verbrechen zu begehen.
Da Pierce Untersuchungshäftling war, konnte man ihn nicht ohne weiteres den Torturen der Tretmühle, des Kugel-Drills oder der Kurbel unterwerfen. Aber auch für ihn galten die Vorschriften und Regeln des Zuchthauses, und brach er zum Beispiel das Sprechverbot, konnte er durchaus zur »Kurbel« verurteilt werden. Man kann also vermuten, daß die Wachen ihn oft beschuldigten, gesprochen zu haben, und daß er entsprechende Strafen erhielt, weil man ihn »weich machen« wollte.
Am 19. Dezember, nach vier Wochen im »Steel«, wurde Pierce wieder zu Harranby ins Büro gebracht. Harranby hatte vorher zu Sharp gesagt: »Heute werden wir das eine oder andere erfahren.« Aber diese zweite Vernehmung dauerte nicht länger als die erste.
»Wo ist dieser Barlow?«
»Ich weiß nicht.«
»Wo ist diese Miriam?«
»Ich weiß nicht.«
»Wo ist das Gold?«
»Ich weiß nicht.«
Mr. Harranby lief dunkelrot an, und die Adern traten ihm auf der Stirn hervor. Bebend vor Zorn entließ er Pierce.
Als Pierce abgeführt wurde, wünschte er Mr. Harranby mit ruhiger Stimme ein frohes Weihnachtsfest. »Die Unverschämtheit dieses Mannes«, schrieb Harranby später, »überstieg jede Vorstellungskraft.«
Mr. Harranby sah sich in dieser Zeit von mehreren Seiten stark unter Druck gesetzt. Die Huddleston & Bradford-Bank wollte ihr Gold wiederhaben und erreichte sogar, daß der Premierminister, Lord Palmerston, höchstpersönlich eingriff und sich bei Mr. Harranby nach dem Stand der Dinge erkundigte. Seine Anfrage brachte Harranby in eine peinliche Lage, denn er mußte gestehen, Pierce nach Coldbath Fields verlegt zu haben, und das zeigte, daß er, Harranby, sich nicht korrekt verhalten hatte.
Palmerston äußerte die Ansicht, daß dieses Vorgehen doch wohl ein bißchen eigenmächtig und nicht ganz comme il faut sei, aber Harranby tröstete sich mit dem Gedanken, daß ein Premier, der sich den Backenbart färbte, mit solchen Äußerungen besser etwas vorsichtig sein sollte.
Pierce blieb in Coldbath, bis man ihn am 6. Februar 1857 wieder zu Harranby brachte.
»Wo ist dieser Barlow?«
»Ich weiß nicht.«
»Wo ist diese Miriam?«
»Ich weiß nicht.«
»Wo ist das Gold?«
»In einem Grab in St. John’s Wood«, sagte Pierce. Harranby richtete sich auf. »Was haben Sie da gesagt?«
»Es liegt in einer Gruft«, sagte Pierce gleichmütig, »auf der der Name John Simms steht, und zwar auf dem Friedhof Martin Lane, St. John’s Wood.«
Harranby trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch.
»Warum haben Sie das nicht schon früher gesagt?«
»Weil ich nicht wollte«, erwiderte Pierce.
Harranby ließ Pierce wieder nach Coldbath Fields bringen.
Am 7. Februar hatte man die Gruft gefunden und die notwendigen Genehmigungen zu ihrer Öffnung eingeholt.
Um zwölf Uhr mittags an diesem Tag öffnete Mr. Harranby in Begleitung von Mr. Henry Fowler das Gewölbe.
Die Gruft enthielt keinen Sarg – und von Gold war auch nichts zu sehen. Bei einer genauen Untersuchung der Tür der Gruft stellte man fest, daß das Schloß vor kurzem mit Gewalt geöffnet worden war.
Mr. Fowler zeigte sich äußerst aufgebracht über diese Entdeckung, und Mr. Harranby war zutiefst bestürzt. Am 8.
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