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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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Wer Gelegenheitsarbeiter beschäftigte, erinnerte sich nur selten daran, wer für sie gearbeitet hatte und wann. Wie dem auch sei, viel war da für ihn nicht zu holen.
    Harranby ertappte sich dabei, daß er die Hände des Mannes anstarrte. Agar hatte die Hände im Schoß gefaltet. Da bemerkte Harranby, daß der Nagel des einen kleinen Fingers ziemlich lang war.
    Ein langer Fingernagel konnte alles mögliche bedeuten. Seeleute ließen einen Nagel lang wachsen, damit er ihnen
    Glück brachte, besonders die Griechen unter ihnen. Aber auch Leute, die in einem Kontor arbeiteten, ließen sich manchmal den Nagel des kleinen Fingers lang wachsen, um damit Siegel abzulösen. Aber bei Agar …
    »Wie lange arbeiten Sie denn schon als Schränker?« fragte Harranby.
    »Bitte?« erwiderte Agar mit einem Ausdruck bemühter Unschuld. »Schränker?«
    »Stellen Sie sich nicht dumm«, sagte Harranby. »Sie wissen, was das ist.«
    »Ich habe mal in ‘ner Tischlerei gearbeitet. Oben im Norden, ein Jahr lang, das stimmt.«
    Harranby ließ sich nicht ablenken. »Haben Sie die Schlüssel für die Safes gemacht?«
    »Schlüssel? Was für Schlüssel?«
    Harranby seufzte. »Als Schauspieler haben Sie keine Zukunft, Agar.«
    »Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Sir«, sagte Agar.
    »Von was für Schlüsseln reden Sie?«
    »Von den Schlüsseln, die beim Eisenbahnraub benutzt worden sind.«
    Hier lachte Agar laut auf. »Sie sind vielleicht gut«, sagte er.
    »Sie glauben, ich würde heute Geld fälschen, wenn ich bei der Sache mitgemacht hätte? Glauben Sie das wirklich? Das ist ja verrückt!«
    Harranbys Gesicht blieb ausdruckslos, aber er wußte, dass Agar recht hatte. Ein Mann, der am Raub von 12.000 Pfund beteiligt gewesen war, würde sich ein Jahr später nicht mit dem Herstellen von Fünf-Pfund-Noten abgeben.
    »Es hat keinen Sinn, daß Sie uns was vormachen«, sagte Harranby. »Wir wissen, daß Simms Sie im Stich gelassen hat. Ihm ist es egal, was mit Ihnen passiert – warum schützen Sie ihn?«
    »Nie von ihm gehört«, sagte Agar.
    »Führen Sie uns zu ihm, und wir werden uns erkenntlich zeigen.«
    »Nie von ihm gehört«, wiederholte Agar. »Wollen Sie das nicht endlich begreifen?«
    Harranby machte eine Pause und starrte Agar an. Der Mann war, von seinen Hustenanfällen abgesehen, völlig ruhig.
    Harranby warf Sharp, der in einer Ecke saß, einen Blick zu. Es war an der Zeit, die Methode zu wechseln.
    Harranby nahm ein Blatt Papier vom Schreibtisch und setzte sich die Brille auf. »Also gut, wie Sie wollen, Mr. Agar«, sagte er. »Dies ist ein Auszug aus dem Strafregister. Sieht gar nicht gut aus, fürchte ich.«
    »Strafregister?« Jetzt war Agar wirklich verblüfft. »Ich habe keins.«
    »Und ob Sie eines haben«, sagte Harranby und ließ den Finger über den Text gleiten. »Robert Agar … hmmm sechsundzwanzig Jahre alt … hmm … geboren in Bethnal Green … hmm … Ja, hier haben wir’s schon. 1849, sechs Monate in Bridewell wegen Landstreicherei …«
    »Das ist nicht wahr !« explodierte Agar.
    »… und 1852 ein Jahr acht Monate in Coldbath wegen Raubüberfalls …«
    »Das stimmt nicht, ich schwöre, es ist nicht wahr!«
    Harranby musterte den Häftling über den Rand seiner Brille hinweg. »Es steht alles hier in Ihrer Akte, Mr. Agar. Ich denke, der Richter wird sich sehr dafür interessieren. Was wird er wohl bekommen? Was meinen Sie, Mr. Sharp?«
    »Vierzehn Jahre Verbannung, mindestens«, sagte Sharp nachdenklich.
    »Hm. Ja. Vierzehn Jahre Australien – das würde ich auch sagen.«
    »Australien«, sagte Agar mit leiser Stimme.
    »Nun, würde ich doch denken«, sagte Harranby ruhig. »Verbannung ist die übliche Strafe in solchen Fällen.«
    Agar schwieg.
    Harranby wußte, daß die »Verbannung« in der Öffentlichkeit allgemein als gefürchtete Strafe galt, während die Verbrecher selbst der Deportation nach Australien mit Gleichmut entgegensahen oder sich gar darauf freuten.
    Viele Kriminelle meinten, Australien sei ein angenehmes Land, und die Aussicht, »die Känguruhs zu jagen«, erschien vielen verlockender als eine lange Haft in einem englischen Gefängnis.
    Die Stadt Sydney in New South Wales war zu jener Zeit eine aufblühende, hübsche Hafenstadt mit dreißigtausend Einwohnern. Sydney war überdies ein Ort, »in dem die Vergangenheit eines Menschen nichts zählt, und ein gutes Gedächtnis sowie neugierige Fragen gehören zu den Dingen, die dort nicht sehr geschätzt werden …« In Australien mochte es

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