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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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statt, ungeachtet des Gewehr- und Artilleriefeuers bei Tag und bei Nacht.
    Später wurden die Lebensmittel rationiert, so daß jeder der Eingeschlossenen nur noch eine Mahlzeit pro Tag erhielt.
    Bald mußten die Belagerten dazu übergehen, Pferdefleisch zu essen, »obwohl einige der Damen es nicht über sich bringen konnten, diese ungewohnte Nahrung zu sich zu nehmen«. Die Frauen gaben selbst ihre Unterwäsche zur Herstellung von Ladepfropfen her. »Die edlen Frauen von Cawnpore opferten die vielleicht geschätztesten Teile ihres weiblichen Putzes, um die Gefechtsbereitschaft zu gewährleisten …«
    Die Lage wurde immer verzweifelter. Es gab kein Wasser mehr, nur noch aus einer Quelle, die sich außerhalb der Befestigungsanlagen befand. Soldaten, die aus dieser Quelle Wasser zu holen versuchten, wurden dabei niedergeschossen. Die Tagestemperaturen erreichten rund 65 Grad Celsius. Etliche Männer wurden durch einen Sonnenstich dahingerafft. Eine ausgetrocknete Quelle innerhalb des umzäunten Truppenlagers wurde als Grabstätte benutzt.
    Am 12. Juni fing eines der beiden Gebäude Feuer und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Sämtliche Medikamente wurden vernichtet. Die Engländer hielten jedoch noch immer aus und schlugen jeden Angriff zurück.
    Am 25. Juni boten die Sepoys einen Waffenstillstand an und sagten den Engländern freies Geleit bis Allahabad zu, einer hundert Meilen stromabwärts gelegenen Stadt.
    Die Überlebenden sollten sich per Schiff dorthin durchschlagen. Die Engländer nahmen an.
    Die Evakuierung begann im Morgengrauen des 27. Juni.
    Man schiffte sich auf vierzig Flußbooten ein. Die schwer bewaffneten Sepoys behielten die Engländer ständig im Auge. Kaum war der letzte Engländer an Bord, sprangen die eingeborenen Flußschiffer ins Wasser, und die Sepoys eröffneten das Feuer auf die noch am Ufer liegenden Boote. Kurz darauf standen die meisten Boote in Flammen; der Fluß war förmlich übersät mit Leichen und Ertrinkenden. Berittene Inder galoppierten durch das seichte Wasser am Ufer und mähten die Überlebenden mit Säbelhieben nieder. Alle Männer wurden getötet.
    Die überlebenden Frauen und Kinder wurden in ein Lehmhaus am Ufer gebracht und dort einige Tage lang in brütender Hitze gefangengehalten. Dann, am 15. Juli, stürmten die Inder, einige von ihnen Schlachter von Beruf, das Gebäude mit gezogenen Säbeln und Messern und machten jedes lebende Wesen nieder. Die entleibten Körper, darunter einige, »die noch nicht völlig entseelt waren«, wurden in einen nahe gelegenen Brunnen geworfen. Sie sollen ihn schließlich bis an den Rand gefüllt haben.
    Die Engländer in der Heimat, die ihrem »tatkräftigen Christentum« Ausdruck verliehen, schworen lautstark blutige Rache. Selbst die Times ließ sich von der Wut des Augenblicks mitreißen und verlangte, »jeder Baum, jede Astgabel dieses Orts soll seine Bürde in Gestalt des Kadavers eines Aufständischen tragen«. Lord Palmerston verkündete, die indischen Rebellen hätten »wie Dämonen aus den Tiefen der Hölle« gewütet.
    In einem solchen Augenblick war das Auftreten eines Verbrechers vor den Schranken von Old Bailey nur noch von zweitrangiger Bedeutung, zumal das fragliche Verbrechen schon zwei Jahre zurücklag. Auf den Innenseiten der Tageszeitungen erschienen jedoch einige Berichte, und sie sind vor allem deshalb fesselnd, weil sie einiges über den Charakter von Edward Pierce aussagen.
    Am 29. Juli trat er zum erstenmal vor die Schranken des Gerichts: »gutaussehend, charmant, gefaßt, elegant und verschlagen«. Er sprach in einem gleichmäßigen, sehr ruhigen Ton, aber seine kühlen Aussagen riefen Empörung hervor. So nannte er etwa Mr. Fowler »einen syphilitischen Narren« und Mr. Trent »einen ältlichen Schwachkopf«.
    Diese Bemerkungen veranlaßten den Ankläger, Pierce nach seiner Meinung über Mr. Harranby zu befragen, über den Mann also, der ihn gefaßt hatte. »Ein aufgeblasener Dandy mit dem Gehirn eines Schuljungen«, bemerkte Pierce, was bei den Richtern ein entsetztes Keuchen auslöste, denn Mr. Harranby saß auf der Galerie, um dem Prozeß als Zuschauer beizuwohnen. Es wurde beobachtet, daß Mr. Harranby bei dieser Bemerkung blaurot anlief und so aussah, als erläge er jeden Augenblick einem Schlaganfall.
    Noch verblüffender als Pierce’ Worte aber war sein Auftre ten, denn er »hielt sich sehr gut, trug eine stolze Haltung zur Schau und gab durch nichts zu erkennen, daß er zerknirscht war oder seine

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