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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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auszuzählen – so provozierend langsam zählte, daß jeder sehen konnte, daß die Hintermänner Neddys ihn mit einem saftigen Handgeld bestochen hatten. Doch wurde die Entrüstung der Fans dadurch gemildert, daß solche Tricks das blutige Schauspiel in die Länge zogen.
    Die Herren von Scotland Yard hatten einige Mühe, unter den Tausenden von Zuschauern, unter denen es immer auch rohe und brutale Burschen gab, unauffällig vorzugehen. Agar, dem ein Pistolenlauf ins Kreuz gedrückt wurde, zeigte aus einiger Entfernung auf Pierce und den Wachmann Burgess, und gleich darauf wurden die beiden festgenommen. Man drückte ihnen einen Kracher in die Seite und forderte sie auf, unauffällig mitzukommen, wenn sie nicht ein Stück Blei zwischen die Rippen kriegen wollten.
    Pierce begrüßte Agar liebenswürdig. »Sie haben uns verpfiffen, nicht wahr?« fragte er lächelnd.
    Agar konnte ihm nicht in die Augen sehen.
    »Macht nichts«, sagte Pierce. »Ich habe auch für diesen Fall vorgesorgt.«
    »Mir blieb nichts anderes übrig«, stieß Agar hervor.
    »Auf Ihren Anteil werden Sie nun verzichten müssen«, sagte Pierce mit ruhiger Stimme.
    Pierce wurde zu Mr. Harranby von Scotland Yard gebracht, der ihn am Rande der Zuschauermenge erwartete.
    »Sind Sie Edward Pierce alias John Simms?«
    »Der bin ich«, erwiderte der Mann.
    »Sie sind vorläufig festgenommen. Sie werden beschuldigt, einen Raub begangen zu haben«, sagte Mr. Harranby.
    Pierce erwiderte: »Sie werden mich nicht lange halten können.«
    »Das denke ich aber doch, Sir«, sagte Mr. Harranby.
    Am Abend des 19. November befanden sich Pierce und Burgess ebenso wie Agar im Gefängnis von Newgate.
    Harranby informierte in aller Stille einige hohe Regierungsbeamte über seinen Erfolg, aber der Presse wurde nichts mitgeteilt, denn Harranby wollte noch die als Miriam bekannte Frau sowie den Kutscher Barlow fassen, die sich beide noch auf freiem Fuß befanden. Außerdem wollte er das Gold finden.

Ein leeres Grab
    Am 22. November verhörte Mr. Harranby Pierce zum erstenmal. Im Tagebuch seines Gehilfen, Jonathan Sharp, heißt es:
    »H. kam frühzeitig ins Büro, aufs sorgfältigste gekleidet und sehr gut aussehend. Trank eine Tasse Kaffee statt wie sonst Tee. Bemerkungen, wie Pierce am besten beizukommen sei, usf. usf. Sagte, er habe den Verdacht, daß ohne Zermürbungstaktik aus Pierce nichts herauszuholen sei.«
    Das erste Gespräch war auch tatsächlich sehr rasch beendet. Um neun Uhr morgens wurde Pierce ins Büro geführt und gebeten, Platz zu nehmen. Er saß auf einem Stuhl mitten im Zimmer. Harranby schoß von seinem Platz hinter dem Schreibtisch mit gewohnter Schroffheit die erste Frage ab.
    »Kennen Sie einen gewissen Barlow?«
    »Ja«, sagte Pierce.
    »Wo befindet er sich jetzt?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wo ist die Frau, die Miriam heißt?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wo«, fragte Mr. Harranby, »ist das Gold?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Sie scheinen eine ganze Menge nicht zu wissen.«
    »Stimmt«, sagte Pierce.
    Harranby musterte ihn einen Augenblick. Ein kurzes Schweigen. »Vielleicht«, sagte Harranby, »wird ein kleiner Aufenthalt im ›Steel‹ Ihr Gedächtnis auffrischen.«
    »Das bezweifle ich«, sagte Pierce, der keinerlei Besorgtheit zeigte. Kurz darauf wurde er aus dem Raum geführt.
    Als er mit Sharp allein war, sagte Harranby: »Ich werde ihn kleinkriegen, verlassen Sie sich darauf.« An demselben Tag noch gab Harranby Anweisung, Pierce von Newgate ins Zuchthaus von Coldbath Fields zu überführen, das auch als »die Bastille« bekannt war. »The Steel« war normalerweise nicht für Untersuchungshäftlinge gedacht. Die Polizei bediente sich aber gern des Zuchthauses, wenn aus irgendeinem Häftling noch vor der Verhandlung etwas »herausgepreßt« werden sollte.
    »The Steel« war das gefürchtetste aller englischen Gefängnisse. Henry Mayhew hat es nach einem Besuch im Jahre 1853 beschrieben. Unter den Besonderheiten dieser Anstalt hat Mayhew an erster Stelle natürlich die Tretmühle genannt, enge Verschläge in einer Reihe, »die an die Abteile in einem öffentlichen Pissoir erinnern«. Hier mußten die Häftlinge jeweils fünfzehn Minuten lang ausharren und ein Rad mit vierundzwanzig Stufen nach unten treten.
    Ein Wärter hat die Vorzüge der Tretmühle wie folgt erklärt:
    »Wie Sie sehen, finden die Männer nie einen festen Stand, da die Stufen immer unter ihnen wegsinken, und das macht die Sache sehr anstrengend. Außerdem sind die Verschläge

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