Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
noch größer. Pierce zog es also vor, die meiste Arbeit selbst zu tun; nur Agar half ihm gelegentlich.
Seiner eigenen Aussage zufolge war Pierce Anfang August noch nicht weiter gekommen als einen Monat vorher. »Der Mann gab für sich kein Geld aus«, sagte Pierce über Trent.
»Keine Laster, keine Schwächen, nichts Exzentrisches, und seine Frau hätte einem Handbuch über die pflichtbewußte Führung eines glücklichen Haushalts entsprungen sein können.«
Es hatte also offenkundig keinen Sinn, mit der nur höchst vagen Chance, den versteckten Schlüssel zu finden, in ein Dreiundzwanzig-Zimmer-Herrenhaus einzubrechen.
Pierce brauchte unbedingt weitere Informationen, und während seiner fortgesetzten Kundschafterarbeit wurde deutlich, daß er diese Informationen nur von Mr. Trent selbst erhalten konnte. Der Aufbewahrungsort des Schlüssels war nur ihm bekannt.
Pierce war es jedoch nicht gelungen, eine persönliche Bekanntschaft mit Mr. Trent anzuknüpfen. Henry Fowler, mit dem Pierce von Zeit zu Zeit bei einem Herrenabend in der Stadt zusammentraf, war von Pierce zwar auf Trent hin angesprochen worden, aber Fowler hatte gesagt, der Mann sei fromm, rechtschaffen und ein rechter Langweiler; Fowler fügte hinzu, seine Frau sei zwar hübsch, gehe einem aber genauso auf die Nerven. (Als diese Äußerungen beim Prozeß zur Sprache kamen, brachten sie Mr. Fowler in arge Verlegenheit; er sollte später aber in noch größere Verlegenheit geraten.) So wäre jeder über Pierce’ Wunsch, ihn mit diesem uncharmanten Paar bekannt zu machen, erstaunt gewesen. Sich Trent direkt zu nähern, verbot sich ebenfalls, selbst unter dem Vorwand, es gehe um geschäftliche Dinge. Henry Fowler würde mit Recht erwarten, daß Pierce sich in allen geschäftlichen Fragen an ihn hielt. Pierce kannte außer Fowler auch niemanden, der mit Trent Umgang hatte.
Pierce hatte also keinerlei Trümpfe in der Hand, und am 1. August war er so weit, daß er schon ganz verzweifelte Manöver erwog. So wollte er sich etwa vor dem Wohnhaus der Trents oder vor der Bank von einer Kutsche anfahren lassen. Das waren jedoch billige Tricks, die zudem voraussetzten, daß Pierce sich tatsächlich dabei verletzte, wenn sie überhaupt wirken sollten. Über solche Aussichten war er verständlicherweise nicht glücklich und schob die Angelegenheit immer wieder hinaus.
Und da, am Abend des 3. August, wich Mr. Trent plötzlich von seinem gewohnten Tagesablauf ab. Er kehrte zur gewohnten Zeit um zwanzig nach sieben nach Hause zurück, ging aber nicht ins Haus, sondern begab sich sogleich zum Hundezwinger und nahm eine seiner Bulldoggen an eine Koppelleine. Er streichelte das Tier ausgiebig, kletterte mit ihm in die wartende Kutsche und rollte davon.
Als Pierce das sah, wußte er, daß der Mann ihm sicher war.
Der abgerichtete Hund
Unweit Southwark Mints befand sich der Mietstall von Jeremy Johnson & Son. Das kleinere Unternehmen hielt in drei hölzernen Stallungen etwa zwei Dutzend Pferde bereit. Sättel, Zaumzeug und andere Gerätschaften hingen an den Wänden. Ein zufälliger Besucher wäre vielleicht überrascht gewesen, statt des Wieherns von Pferden das unverkennbare Bellen, Knurren und Jaulen von Hunden zu hören. Häufigere Besucher waren damit jedoch vertraut. In ganz London fand man zahlreiche angesehene Unternehmen dieser Art, die nebenher Kampfhunde abrichteten und verkauften.
Mr. Jeremy Johnson senior führte seinen rotbärtigen Kunden durch die Ställe nach hinten. Mr. Johnson war ein jovialer alter Mann, dem die meisten Zähne fehlten.
»Selbst kann ich zwar nicht mehr so zubeißen«, sagte er kichernd, »aber trinken kann ich noch sehr gut, das dürfen Sie mir glauben.« Er gab einem Pferd einen Klaps aufs Hinterteil, damit es ihm Platz machte. »Los, beweg dich«, sagte er und sah dann wieder Pierce an. »Also, womit kann ich Ihnen denn dienen?«
»Nur mit dem besten«, sagte Pierce.
»Das wollen alle Herren«, entgegnete Mr. Johnson mit einem Seufzen. »Alle wollen immer den besten.«
»Ich bin sehr anspruchsvoll.«
»Oh, das ist mir klar«, sagte Johnson. »Das sehe ich. Sie suchen einen jungen, dem Sie den letzten Schliff geben können?«
»Nein«, erwiderte Pierce, »ich suche einen voll abgerichteten Hund.«
»Da werden Sie aber einiges anlegen müssen, wissen Sie.«
»Ich weiß.«
»Sehr teuer, sehr teuer«, murmelte Johnson und ging durch den Stall weiter nach hinten. Er schob eine quietschende Tür auf, und sie traten auf einen
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