Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
Vorsichtsmaßnahmen! Ich versichere Ihnen, man transportiert nicht Monat für Monat zwölftausend Pfund in Goldbarren nach Frankreich, ohne die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben.«
»Der Lump war also hinter dem Sold für die Truppen auf der Krim her?« fragte ein anderer der Herren, Mr. Harrison Bendix. Bendix war als heftiger Gegner des Krim-Kriegs bekannt, und Fowler wollte sich zu so später Stunde nicht noch auf einen politischen Disput einlassen.
»Offensichtlich«, bemerkte er knapp und war erleichtert, als Pierce wieder das Wort ergriff.
»Ich glaube, wir sind alle neugierig, über die Art Ihrer Sicherheitsvorkehrungen Näheres zu erfahren«, sagte er.
»Oder müssen Sie das geheimhalten?«
»Durchaus nicht«, erwiderte Fowler, der die Gelegenheit nutzte, um seine goldene Uhr aus der Westentasche zu ziehen und den Deckel aufzuklappen. Es war schon nach elf – Zeit für ihn, sich zurückzuziehen. Nur seine Sorge um den guten Ruf der Bank hielt ihn davon ab, aufzubrechen.
»Die Vorkehrungen gehen übrigens auf meine eigenen Anregungen zurück. Wenn Sie erlauben, fordere ich Sie hiermit auf, mich auf eventuelle schwache Punkte unseres Sicherheitssystems aufmerksam zu machen.« Er blickte in die Runde.
»Jede Sendung Goldbarren wird in den Tresorkellern der Bank transportfertig gemacht. In diese Räumlichkeiten kann – das brauche ich wohl kaum besonders zu betonen – kein Unbefugter eindringen. Die Goldbarren werden in eisenbeschlagene Kisten gelegt, die sodann versiegelt werden. Ein nüchtern denkender Mensch mag der Ansicht sein, dies sei Schutz genug, aber wir gehen natürlich noch viel weiter.« Er machte eine Pause und nippte an seinem Brandy.
»Also weiter. Bewaffnete Wachleute bringen die versiegelten Kisten zum Bahnhof. Der Konvoi wählt jedesmal einen anderen Weg und folgt nie dem gleichen Zeitplan. Er benutzt belebte Straßenzüge, und so gibt es keine Möglichkeit, den Transport auf dem Weg zum Bahnhof zu überfallen. Wir setzen nie weniger als zehn Wachmänner ein, und diese Männer sind ausnahmslos vertrauenswürdige und altgediente Angestellte unserer Firma. Sie sind alle schwer bewaffnet.
Nun denn. Auf dem Bahnhof werden die Kisten in den Packwagen des Zugs nach Folkestone geladen, und in diesem Wagen schließen wir sie in zwei der neuesten Safes von Chubb ein.«
»Ach was, Safes von Chubb?« fragte Pierce und hob eine Augenbraue. Chubb stellte die zuverlässigsten Safes der Welt her. Das Unternehmen genoß seiner vorzüglichen Präzisionsarbeit wegen weltweiten Ruf.
»Diese Safes stammen aber nicht aus der gewöhnlichen Produktion von Chubb«, fuhr Fowler fort. »Es sind Spezialanfertigungen nach den Anweisungen der Bank. Meine Herren, sie bestehen an allen Seiten aus gehärtetem Stahl, einen viertel Zoll stark, und die Türen sind mit Innenscharnieren angebracht, die es nicht zulassen, daß man von außen an ihnen manipuliert. Also allein schon das Gewicht dieser Safes verbietet jeden Gedanken an einen Diebstahl, denn jeder von ihnen wiegt mehr als zweihundertfünfzig Pfund.«
»Höchst eindrucksvoll«, versetzte Pierce.
»In der Tat«, sagte Fowler, »und man könnte guten Gewissens meinen, dies sei ein ausreichender Schutz für die Goldladung. Gleichwohl haben wir uns noch zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ausgedacht. Jeder der Safes ist nicht mit einem, sondern mit zwei Schlössern ausgestattet, für die man zwei verschiedene Schlüssel braucht.«
»Zwei Schlüssel? Raffiniert!«
»Und nicht genug damit!« sagte Fowler. »Jeder der vier
Schlüssel – zwei für jeden Safe – wird gesondert aufbewahrt. Zwei befinden sich im Büro der Bahngesellschaft. Der dritte befindet sich in der Obhut des Seniorchefs der Bank, Mr. Trent, den einige von Ihnen vielleicht als höchst vertrauenswürdigen Herrn kennen. Ich muß gestehen, daß ich selbst nicht genau weiß, wo dieser Schlüssel aufbewahrt wird. Vom vierten Schlüssel allerdings weiß ich es, denn ihn hat man mir selbst anvertraut.«
»Wie außerordentlich!« sagte Pierce. »Eine beachtliche Verantwortung für Sie!«
»Ich muß bekennen, daß ich es in dieser Angelegenheit für notwendig gehalten habe, mir etwas Besonderes auszudenken«, gab Fowler zu und verfiel in bedeutungsvolles Schweigen.
Schließlich platzte Mr. Wyndham, bei dem der Alkohol schon seine Wirkung getan hatte, heraus: »Also, verdammt noch einmal, Henry, werden wir nun endlich erfahren, wo du den dämlichen Schlüssel versteckt
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