Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918 (German Edition)
Kriegsbeteiligung gespalten, und die Mehrheit der Bevölkerung neigte der Entente zu, seitdem der Erzfeind Türkei sich auf die Seite der Mittelmächte geschlagen hatte. [574] Für den weiteren Kriegsverlauf hatte das alliierte Lager bei Saloniki vorerst keine Bedeutung; die dort bereitstehenden Truppen stellten zwar eine potenzielle Bedrohung für Bulgarien und das Osmanische Reich dar, sie machten zunächst aber keinerlei Anstalten, offensiv zu werden. So banden sie lediglich einige bulgarische und türkische Divisionen in diesem Raum. Das sollte sich erstmals im Herbst 1916 ändern, als ein zur Unterstützung Rumäniens vorgenommener Angriff freilich im Ansatz scheiterte. [575] Bis dahin war man damit beschäftigt, die Überreste der geschlagenen serbischen Armee nach ihrer Flucht über Albanien und der zeitweiligen Internierung auf Korfu in Saloniki zu reorganisieren und wieder kampffähig zu machen.
5. Entscheidungsschlachten ohne Entscheidung
«Das Rütteln der Deutschen an der Kerkertür»: Skagerrak
Die Seeschlacht vor dem Skagerrak – die Briten nennen sie die Seeschlacht vor Jütland – resultierte mehr aus verschiedenen Zufällen, als dass sie von beiden Seiten geplant und angestrebt worden wäre. Die deutsche Seite jedenfalls ging davon aus, dass sie es nur mit den in Rosyth nahe Edinburgh stationierten beiden Schlachtkreuzergeschwadern und nicht mit der in Scapa Flow, also vor den Orkney-Inseln, liegenden
Grand Fleet
zu tun haben würde. Die Briten waren über die Absichten und Bewegungen der Deutschen besser informiert, denn es war ihnen gelungen, den deutschen Funkcode zu dechiffrieren, und im Umgang mit dem dadurch erlangten Wissen waren sie so geschickt, dass dies der deutschen Seite verborgen blieb und diese den Code bis Kriegsende nicht änderte. Es war der legendäre
Room 40
im britischen Kriegsministerium, dem dieser Geniestreich gelungen war, nachdem man dort verschiedene Funde aus erbeuteten oder versenkten deutschen Schiffen miteinander kombiniert hatte. [868] Auf Basis des ihnen verfügbaren Wissens kamen die Briten zu dem Ergebnis, dass die Deutschen einen Vorstoß entlang der dänischen Westküste in Richtung Norwegen planten; ob es sich dabei nur um das aus fünf Schlachtkreuzern bestehende Aufklärungsgeschwader unter Vizeadmiral Hipper oder die gesamte Kriegsflotte unter dem Kommando von Vizeadmiral Reinhard Scheer handeln würde, blieb zunächst unklar. Die Briten beschlossen dennoch, in voller Stärke auszulaufen, die Deutschen mit ihren überlegenen Kräften zu stellen und deren Flotte zu vernichten. So kam es am 31 . Mai und 1 . Juni 1916 zu der – an Tonnage und Feuerkraft der eingesetzten Schiffe gemessen – größten Seeschlacht der Geschichte. [869] Für den weiteren Verlauf des Krieges hatte diese Seeschlacht freilich keine Bedeutung: Sie mochte einen taktischen Erfolg der Deutschen darstellen, änderte aber nichts an den Konstellationen in der Nordsee. Eine New Yorker Zeitung hat wenige Tage später das Ergebnis dieses Gefechts ebenso prägnant wie zutreffend zusammengefasst: «Die deutsche Flotte hat ihren Kerkermeister angegriffen, aber sie ist immer noch im Kerker.» [870]
Eine umso größere Rolle spielte die Skagerrakschlacht in der Wahrnehmung und Erinnerung der deutschen Bevölkerung, wo sie als ein großer Sieg gefeiert wurde und als Rechtfertigung für die zu weitgehender Bedeutungslosigkeit verurteilten Großkampfschiffe herhalten musste. [871] Sie wurde, darin Tannenberg und Verdun vergleichbar, zu einem Mythos, der vom Sieg der Deutschen über die stolze englische Flotte erzählte. Den Grundstein zu diesem Mythos legte Kaiser Wilhelm II . in einer Ansprache an die Schiffsbesatzungen wenige Tage nach der Schlacht: «Eine gewaltige Flotte des meerbeherrschenden Albion, das seit Trafalgar hundert Jahre lang über die ganze Welt den Bann der weltbeherrschenden Seetyrannei gelegt hatte, den Nimbus trug der Unüberwindlichkeit und Unbesiegbarkeit – da kam sie heraus. Und was geschah? Die englische Flotte wurde geschlagen. Der erste gewaltige Hammerschlag ist getan, der Nimbus der englischen Weltherrschaft geschwunden.» [872] Das war in vieler Hinsicht übertrieben und entsprach keineswegs den strategischen Folgen der Schlacht. Aber die Briten hatten vor dem Skagerrak deutlich höhere Verluste erlitten als die Deutschen, und sie hatten deren Flotte nicht vernichtet, wie sie selbst und «alle Welt» das erwartet hatten. Insofern war die Seeschlacht für
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