Der große Ölkrieg
Leben auf der Straße.
Diese Stadt war ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was die Intervention der Amerikaner vor zwei Jahren, 1986 also, im Iran und den Golfstaaten für Unheil angerichtet hatte. Alle Welt hatte damals mit einem großen Krieg gerechnet, doch ein Stillhalteabkommen mit der Sowjetunion, der vertraglich Anteile am Öl zugesichert wurden, hatte den weltumspannenden Konflikt verhindert. Und gegen beide Supermächte hatte dann auch China nichts unternommen.
Die Länder der Dritten Welt, und dazu mußte man Indien immer noch oder schon wieder – da stritten sich die Experten – rechnen, waren nicht mehr in der Lage, den durch die seit damals andauernden Krisen, Aufstände und Bürgerkriege im Nahen Osten ins Astronomische gestiegenen Ölpreis zu bezahlen; auch viele Industriestaaten konnten nur noch durch Verzicht reagieren. In Afrika, Lateinamerika und Asien aber, mit Ausnahme der Länder mit eigenen Ölvorkommen, ging alles wieder vor die Hunde, was vielleicht im Ansatz nach Besserung und Aufbau ausgesehen hatte.
Kalkutta war das beste Beispiel dafür, und Kleinschmidt war dankbar dafür, daß er hier so eindringlichen Anschauungsunterricht nehmen konnte. In dieser Stadt gab es kaum noch Häuser, die einigermaßen intakt waren. Überall bröckelte der Putz und fielen die Fassaden. Die Gehsteige waren vergammelt und hatten Schlaglöcher, das Pflaster war herausgerissen. Was vielleicht vor zehn Jahren an Kanalisation vorhanden gewesen war, noch nicht einmal zehn Prozent des damaligen Bedarfs, ging wegen mangelnder Wartung in die Brüche.
Mehrere Male im Jahr gab es Seuchenalarm. Fäkalien von Mensch und Tier – allen voran von den heiligen Kühen, aber auch von Ratten und Affen – verseuchten das Trinkwasser. Obwohl die Bevölkerung inzwischen weitgehend immun war, gab es immer wieder Epidemien.
Gerade fuhr der Wagen an einer Gruppe Blinder und Verkrüppelter vorüber.
Für Kleinschmidt waren solche Bilder der Beweis dafür, daß er richtig gehandelt hatte, als er sich gleich nach Beendigung der amerikanischen Intervention in Nahost von Kuwait als Anlageberater hatte anheuern lassen. Denn die Kuwaitis, nie um Kompromißlösungen verlegen, wenn es ums Geschäft ging, hatten sich bei Ausbruch der Kampfhandlungen, zusammen mit Oman, sogleich auf die Seite der USA geschlagen.
Auf diese Weise hatte der studierte Volkswirt Kleinschmidt nicht nur in Kuwait einen lukrativen Posten ergattert, er war auch der von innenpolitischen Unruhen schwer gebeutelten Bundesrepublik Deutschland entronnen, wo die vom Wohlstand verweichlichte Bevölkerung arg unter den Auswirkungen der permanenten Ölkrise litt und überhaupt nicht damit fertig wurde, daß nunmehr drei Millionen Arbeitslose herumlungerten.
Und da die USA die Ölförderung in Nahost nur in dem Maße zuließen, wie es ihnen in ihre nationalen Belange paßte, konnte niemand in absehbarer Zeit auf Besserung hoffen.
3
Die zudringlichen Einheimischen machten den Einkauf keinesfalls zu einem Vergnügen, und so entschlossen sich Herr und Frau Kleinschmidt bereits nach dem Besuch von zwei Geschäften, die Innenstadt zu verlassen.
Endlich saßen sie wieder, reichlich zerzaust, in ihrem Wagen; die Türen waren verriegelt. Ihm war die Uhr vom Handgelenk gestohlen und ein Jackenärmel aufgeschlitzt worden, und sie hatte nur mit sehr resolutem Zugriff ihre Handtasche aus den Händen eines dreisten, abgezehrten Bengels retten können, was beinahe zu einer Schlägerei mit den Bettlern und Eckenstehern auf der Einkaufsstraße geführt hätte, wenn nicht Mahat, ihr Chauffeur, geistesgegenwärtig eine Handvoll Münzen in die Menschenmenge geworfen hätte. Rettung in letzter Sekunde.
„Ich finde die Leute heute bösartiger, feindseliger als noch vor wenigen Tagen“, beschwerte sich Gerda Kleinschmidt, und auch Klaus-Dieter meinte: „Irgendwie brodelt es in den Straßen, habe ich den Eindruck.“
Mahat sah ihn im Rückspiegel prüfend an: „Das ist noch gar nichts, Sir, ich bin sicher, daß alles noch viel schlimmer wird – und zwar innerhalb vierundzwanzig Stunden.“
„Wie kommen Sie darauf?“ fragte Kleinschmidt den Inder, der so gut informiert zu sein schien.
„Das würde mich auch interessieren, Schatzilein“, ließ sich nun auch Gerda Kleinschmidt vernehmen; sie schien ihren Ärger über die beinahe gestohlene Handtasche vergessen zu haben. Vielleicht witterte sie aber auch Sensationen.
„Nun, wie ich gehört habe, sollen die laufenden
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