Der große Ölkrieg
sehr viel mit Tele“, erklärte der Produktionsleiter. „Gerade hier in Kalkutta ist die Bevölkerung manchmal so aggressiv, da gehen wir lieber auf Abstand. So eine Szene, wie gerade Ihre Ankunft vor diesem Tempel, ist Gold wert. Das lenkt ab und bringt Leben in die Menge. Außerdem liefert uns das hervorragende Kontraste. Aber Sie wollten ja wissen … Wenn Sie sich umdrehen, auf der anderen Seite des Platzes, hinter dem hohen Aufbau des Lastwagens sitzt das Kamerateam.“
„Sie entschuldigen uns kurz“, meinte Kleinschmidt, denn seine Frau zog ihn am Ärmel; sie wollte den Tempel betreten, von wo die grausigen Geräusche des Rituals zu hören waren.
Sie gingen durch den schmalen, schlecht erleuchteten Gang, der zur eigentlichen Tempelhalle der Göttin Kali führte. Es war feucht und klebrig in dem Gang, doch ein junger Novize geleitete sie und andere Besucher sicher hindurch.
Kali ist die Göttin der schwarzen Pocken, und schwarz ist auch das Material, aus dem ihr Standbild gehauen ist.
Ein Kranz aus Totenköpfen, die wie Affenschädel aussahen, hing um ihren Hals. Gerda Kleinschmidt schauderte es ein wenig, als Klaus-Dieter ihr zuflüsterte, Eingeweihte behaupteten, der makabre Schmuck Kalis bestünde keineswegs aus Affenschädeln, sondern aus den Köpfen geopferter Kinder.
„Jai Kali – es lebe Kali!“ war aus allen Ecken von den Gläubigen zu hören. Sie führten der Göttin geweihte Opfergaben mit sich: Schafe, Hühner, Gänse, Tauben und anderes Getier. Nachdem sie von den Brahmanen huldvoll im Namen Kalis angenommen worden waren, wurden die Tiere unmittelbar neben der schwarzen Statue von einer pausenlos tätigen Guillotine enthauptet.
Ursprünglich war dieses blutige Ritual außerhalb der Tempelhalle vollzogen worden, doch im Zeichen des starken Zulaufs und der zunehmenden Fanatisierung der Gläubigen hatten sich die Kalipriester zu dieser Verlegung entschlossen. Um eine Verunreinigung auszuschließen, war eine breite Abflußrinne in den Boden gehauen worden, aus der heraus dennoch von Zeit zu Zeit das schwarzrote Blut überschwappte.
Während die Einheimischen der grausigen, rein mechanischen Enthauptung der Tiere geradezu verzückt zusahen, wurde es Kleinschmidt schnell flau im Magen. Und Gerda flüsterte: „Schatzilein, mir wird schlecht. Ich muß hier raus!“
Doch als sie sich umdrehten und halb blind vor Übelkeit herausstolperten, wurden sie von einem Brahmanen angehalten, der ihnen gebieterisch die leere Hand entgegenstreckte. Kali forderte von jedem ihr Opfer.
Kleinschmidt fingerte in seiner Hosentasche herum, gab, was er fand, ohne zu wissen, wieviel es war.
Draußen holten sie erst einmal tief Luft. Selbst das Gewimmel der Bettler, das sie gleich wieder umgab, war besser zu ertragen als die blutgetränkte Luft dort drinnen in der Halle.
Das Fernsehteam hatte sein Versteck auf dem Lastwagen verlassen und befand sich nun inmitten der Menschenmenge auf dem Kali-Ghat. Der Produktionsleiter Bieber erblickte die beiden sofort, rief seinem Kameramann etwas zu und kam auf die Touristen zu.
„Na, wie war’s da drinnen?“ fragte er.
Ohne auf Antwort zu warten, fuhr er gleich darauf fort: „Mir ist auch schlecht geworden, als ich dieses Gemetzel zum ersten Mal gesehen habe.“
„Ist das hier nicht ein wenig dürftig für Ihre Zwecke?“ fragte Kleinschmidt den Fernsehmann und deutete auf die Umgebung.
Bieber strich sich eine braune Locke aus der Stirn.
„Das stimmt wohl. Seit die EG und die USA diese Getreidelieferungen losgeschickt haben, ist alles viel zu ruhig in diesem Land. Nirgends mehr Unruhe, keine Hungerkatastrophen, rein gar nichts!“
„Aber ist es nicht schön, wenn es den Leuten bessergeht?“ fragte Gerda Kleinschmidt.
„Aus deren Sicht schon.“ Bieber machte einen erschöpften Eindruck, wie er so vor ihnen stand. „Aber wir brauchen harte Bilder, die das Thema illustrieren und dokumentieren, das wir behandeln: Massenverelendung. Und da können wir nicht nur abgemagerte Kinder und verwanzte Wohnungen zeigen. Wir brauchen Aktionen, Unruhe, was weiß ich …“
„Ich verstehe“, sagte Kleinschmidt. „Aber da haben Sie sich einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht.“
„Vielleicht wird’s ja noch“, meinte der Produktionsleiter. „Ich muß wieder zu meinem Team zurück.“
Er nickte ihnen zu und wollte weggehen, doch Kleinschmidt fragte ihn noch: „Haben Sie denn Anzeichen dafür, daß es wirklich Unruhen geben wird?“
„Nun, wir haben die
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