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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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seines Schreibtisches gänzlich mit faulen Apfeln angefüllt war, deren Ausdünstung er begierig einatmete, und Goethe, den großen Realisten, befiel eine halbe Ohnmacht, als er sich einst an Schillers Schreibtisch setzte.
    So niederschlagend dieser ausgesuchte Fall für alle verklärten und übernatürlichen Idealisten sein mag, so wird während des Genusses von Schillers Geistestaten deswegen niemand an die faulen Apfel denken oder mit besonderer Aufmerksamkeit bei ihrer Erinnerung verweilen.
    Aber der Professor konnte sich von der Vorstellung des ununterbrochenen aktiven und passiven Verhaltens des Gehirnes und der Nerven, als des hervorbringenden lebendigen Ackergrundes, niemals trennen zugunsten des Hervorgebrachten, der moralischen Frucht, als ob eine Ähre und eine Erdscholle nicht unzweifelhaft zwei Dinge, zwei Gegenstände wären.
    Das kam daher, daß er jedesmal auf diesem Punkte einer kleinen Verwirrung anheimfiel, welche seine Begeisterung für seinen materiellen Gegenstand anrichtete und in welcher er ein wenig zu jener großen Schule derer gehörte, die das Wesentliche vom Unwesentlichen nicht zu unterscheiden wissen; denn in dem Augenblicke, wo es sich um eine moralische Welt handelt, hört die Materie, so fest jene an diese geschmiedet ist, auf, das Höchste zu sein, und nach dem Edleren muß man trachten, sonst wird das, was man schon hat, blind und unedel.
    Es reizte Heinrich, auch in dieser Frage die Welt seinem Gotte, zwar immer in dessen Namen, unabhängig gegenüberzustellen und einen moralischen freien Willen des Menschen, als in dessen Gesamtorganismus begründet und als dessen höchstes Gut, aufzufinden. Sogleich sagte ihm ein guter Sinn, daß, wenn auch dieser freie Wille ursprünglich in den ersten Geschlechtern und auch jetzt noch in wilden Völkerstämmen und verwahrlosten einzelnen nicht vorhanden, derselbe sich doch einfinden und auswachsen mußte, sobald überhaupt die Frage nach ihm sich einfand, und daß, wenn Voltaires Trumpf »Wenn es keinen Gott gäbe, so müßte man einen erfinden!« viel mehr eine Blasphemie als eine »positive« Redensart war, es sich nicht also verhalte, wenn man dieselbe auf das Dasein des freien Willens anwende, und man vielmehr nach Menschenpflicht und – recht sagen müsse Wenn es bis diesen Augenblick wirklich keinen freien Willen gegeben hätte, so wäre es »des Schweißes der Edlen« wert, einen solchen zu erringen, hervorzubringen und seinem Geschlechte für alle Zeiten zu übertragen.
    Gegenüber den materialistischen sowohl als den mystischen Gegnern des freien Willens, den Leuten von der Gnadenwahl, steht die rationelle Richtung, die Vernunftgläubigkeit von Gottes Gnaden, die Bekennerin des bestimmten und unbeschränkten freien Willens, göttlichen Ursprungs, unzweifelhafter Allmacht und der untrügliche Richter seiner selbst. Aber diese Richtung hegt, bei diesem Anlasse, ebensowenig Achtung vor dem Körperlich-Organischen und dessen bedingender Kontinuität als die Materialisten von der gröbsten Sorte vor dem vermeintlichen Abstraktum, und ihr absoluter rationalistischer freier Wille ist ein kleiner Springinsfeld, dessen Leben, Meinungen und Taten eben auch nicht weiter reichen, als es gelegentlich allerlei Umstände erlauben wollen. Heinrich, welcher seinen bisherigen Meinungen nach ganz dazu angetan war, sich zu dieser Fahne zu schlagen, hatte jetzt schon zuviel Aufmerksamkeit und Achtung für das Leibhafte und dessen gesetzliche Macht erworben, als daß er es unbedingt getan hätte. Vielmehr geriet er auf den natürlichen Gedanken, daß das Wahrste und Beste hier wohl in der Mitte liegen dürfte, daß innerhalb des ununterbrochenen organischen Verhaltens, der darin eingeschachtelten Reihenfolge der Eindrücke, Erfahrungen und Vorstellungen, zuinnerst der moralische Fruchtkern eines freien Willens keime zum emporstrebenden Baume, dessen Äste gleichwohl wieder sich zum Grunde hinabbögen, dem sie entsprossen, um dort unablässig aufs neue Wurzeln zu schlagen.
    Diesen Prozeß, sagte er sich, kann man am füglichsten mit einer Reitbahn vergleichen. Der Boden derselben ist das Leben dieser Welt, über welches es gilt hinwegzukommen auf gute Manier, und kann zugleich den festen derben Grund aller Materie vorstellen. Das wohlgeartete und geschulte Pferd ist das besondere, immer noch materielle Organ, der Reiter darauf der gute menschliche Wille, welcher jenes zu beherrschen und zum freien Willen zu werden trachtet, um auf edlere Weise über jenen

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