Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
sie einander in die Haare und rauften sich ganz unbarmherzig. Der wütende Gegner riß dem keuchenden Heinrich alle seine schönen Kleider in Fetzen, und erst als dieser ihm einige verzweifelte Knüffe versetzte, entschwand er ihm unter den Händen und ließ den Ermatteten und ganz Trostlosen in der verdunkelten kalten Straße stehen.
    Heinrich sah sich angstvoll mit bloßen Füßen und mit nichts als einem zerrissenen Hemde bekleidet dastehen; das Haus aber war das alte wirkliche Haus, jedoch halb verfallen, mit zerbröckelndem Mauerwerk, erblindeten Fenstern, in denen leere oder verdorrte Blumenscherben standen, und mit Fensterläden, die im Winde klapperten und nur noch an einer Angel hingen.
    Von seiner vortrefflichen Traumeshabe war nichts mehr zu sehen als einige zertretene Reste auf dem kotigen Pflaster, welche dazu von nichts Besonderm herzurühren schienen, und in der Hand hielt er nichts als den seinem bösen Feinde entrungenen Stecken. Heinrich trat entsetzt auf die andere Seite der Straße und blickte kummervoll nach den öden Fenstern empor, wo er deutlich seine Mutter, alt und grau, hinter der dunklen Scheibe sitzen sah, in tiefem Sinnen über die schwarzen Dächer der Nachbarschaft hinausfahrend.
    Heinrich streckte die Arme nach dem Fenster empor; als sich die Mutter aber leise rührte, verbarg er sich hinter einem Mauervorsprung und suchte angstvoll aus der stillen dunklen Stadt zu entkommen, ohne gesehen zu werden. Er drückte sich längs den Häusern hin und wanderte auch alsbald an seinem schlechten Stecken auf einer unabsehbaren Landstraße dahin zurück, wo er hergekommen war. Er wanderte und wanderte rastlos und mühselig, ohne sich umzusehen, und als er in sein wirkliches Elend aufwachte, fiel ihm ein Stein vom Herzen, und er war so froh, als ob der glücklichste Tag ihn begrüßte.
    So zeigte sich dem schlafenden Heinrich die Kraft und Schönheit des Vaterlandes in den lieblichsten Traumbildern, wo alles glänzend übertrieben war in dem Maße, als er sich dahin zurücksehnte und seine verlangende Phantasie das Ersehnte ausmalte. Er wunderte sich über diese Traumgewalt und freute sich derselben wie einer schönen Freundin, welche ihm das Elend versüßte; denn er zehrte tagelang von der Erinnerung der schönen Träume.
    Noch mehr wunderte er sich über die Gier, mit welcher der Mangel ihn fortwährend von Geld und Gut und allen guten Dingen träumen ließ, was aber gewöhnlich ein schlimmes Ende nahm, und studierte darüber, ob diese Gier wirklich etwa eine in ihm schlummernde Untugend sein möchte? Je tiefer er aber in gänzliche Verlassenheit hineinlebte, desto weniger märchenhaft und unsinnig wurden die Träume, aber sie nahmen eine einfache Schönheit und Wahrheit an, welche, selbst wenn sie traurigen Inhaltes war, eine tröstliche Rührung und Ruhe in Heinrichs Gemüt verbreitete. Die Träume wurden so folgerichtig und lebendig, daß er sich sozusagen sogar während des Traumes jene unmäßigen Geld-und Gutphantasien abgewöhnen konnte mit ihren närrischen Täuschungen und sich auf einfach artige Bilder beschränkte. So träumte er eine Nacht, daß er an dem Rande des Vaterlandes auf einem dunklen Berge säße, während das Land in hellem Scheine vor ihm ausgebreitet lag. Auf den weißen Straßen, auf den grünen Fluren wallten und zogen viele Scharen von Landleuten und sammelten sich zu heiteren Festen, zu allerhand Handlungen und Lebensübungen, was er alles aufmerksam beobachtete. Wenn aber solche Züge nahe an ihm vorübergingen und er manche Befreundete erkennen konnte, so schalten diese ihn im Vorbeigehen, wie er, teilnahmlos in seinem Elende verharrend, nicht sehen könne, was um ihn herum vorgehe. Er verteidigte sich, indem sie vorüberzogen, und rief ihnen sorgfältig gefügte Worte nach, welche wie ein Lied klangen, und dieser Klang lag ihm nach dem Erwachen fort und fort im Gehör, indessen er sich wohl noch des Sinnes, aber durchaus nicht mehr der Worte erinnern konnte, oder wenigstens nur so viel, daß sie wohl an sich sinnlos, aber gut gemeint gewesen seien. Es reizte ihn aber unwiderstehlich, die liedartige Rede herzustellen oder vielmehr von neuem abzufassen bei wachen Sinnen, und indem er ein altes Bleistümpfchen und ein Fetzchen Papier mit Mühe zusammensuchte, schrieb er, in Takt geratend und mit den Fingern zählend, diese Strophen auf:
    Klagt mich nicht an, daß ich vor Leid Mein eigen Bild nur könne sehen!
    Ich seh durch meinen grauen Flor Wohl euere Gestalten

Weitere Kostenlose Bücher