Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
haben, geht vollkommen in das Maß des wackern Pferdetrittes hinein, und wenn der sehr richtig denkende Psalmist den Herrn seinen Gott anschrie: ›Tausend Jahre sind vor dir wie ein Augenblick!‹ so ist diese gut begründete Hypothese von hinten gelesen eine und dieselbe Wahrheit Ein Augenblick ist wie tausend Jahre! Wir könnten noch tausendmal mehr sehen und hören während dieses Hufschlages, wenn wir nur das Zeug dazu in uns hätten, lieber Mann! Doch alles Pressieren oder Zögern hilft da nichts, alles hat seine bequemliche Erfüllung, und wir können uns ganz gemächlich Zeit lassen mit unserm Traum, er ist, was er ist, und dauert einen Schlag und nicht mehr noch minder!« sagte das Pferd.
»Gut, so beantworte mir ohne Anstand noch diese Frage!« erwiderte Heinrich, »ich muß mir aber die Frage erst noch ein wenig zurechtlegen und deutlich abfassen; denn ich weiß nicht recht, wie ich mich ausdrücken soll.
Bereite dich indessen, da wir, wie du sagst, ausreichende Traumeszeit haben, recht gründlich auf die Beantwortung vor!«
»Wie kann ich mich zur Antwort vorbereiten, eh ich nur die Frage kenne?«
sagte das Pferd verwundert.
»Was?« rief Heinrich erbost, »das weißt du nicht? Deinen guten Willen und dein bißchen Ehrlichkeit sollst du zusammennehmen und den Vorsatz fassen, ohne alle Heuchelei und Ausschmückung zu antworten, und selbst wenn du gar nichts zu antworten weißt, so sollst du dies mit gutem ehrlichen Willen bekennen, und dies wird alsdann die gesundeste Antwort sein. Kurz, du sollst, während du philosophierst, wirklich ein Philosoph sein und nicht etwa ein Buchbinder oder ein Kattundrucker!«
»Es ist doch wunderbar mit den Menschen!« bemerkte der Goldfuchs melancholisch. »Bist denn du etwa jetzt ein Philosoph, während du dir erst ein Pferd träumst, um dir von demselben Fragen beantworten zu lassen, welche du dir einfacher und unmittelbar aus dir selbst beantworten kannst? Muß denn dein träumender Verstand wirklich erst ein Pferd formen, es auf vier Beinen dahinstellen und sich rittlings daraufsetzen, um aus dem Munde dieses Geschöpfes das Orakel zu vernehmen?«
Heinrich lächelte vergnügt und selbstzufrieden wie einer, der es wohl weiß, daß er sich selbst einen Spaß vormacht, und versetzte »Antworte! Ich sehe hier eine Brücke; dieselbe ist aber vollkommen gebaut und eingerichtet wie ein Palast oder großer Tempel, so daß es in dieser Hinsicht wieder mehr als eine Brücke zu sein scheint, während eine solche vielmehr nur der Weg etwa zu einem guten Tempel oder derartigen Bauwerke zu sein pflegt. Auch beginnt am Ausgange dieser herrlichen Palastbrücke oder dieses Brückenpalastes eine herrliche alte Stadt, deren himmelhohe Lindenwipfel und goldene Turmknöpfe wir wohl unter diese Bogenwölbungen können einherfunkeln sehen, wenn wir uns bücken, so wie wir ja auch aus der schönsten Landschaft herkommen und soeben über die treffliche ideenhaltige Kristalltreppe heruntergestolpert sind.
Trotzdem scheint alles auf dieser Brücke so zu leben und zu weben, als ob nichts als diese Brücke da wäre, und ich bin nun begierig zu hören, ob dies stattliche Brückenleben eigentlich ein Übergang, wie es einer Brücke geziemt, oder ein Ziel, wie es ihr auch wieder geziemen könnte, da sie so hübsch ist, ein Zweck oder ein Mittel sei? Ein bloßes Bindemittel oder eine in sich ruhende Vereinigung? Ein Ausgang oder ein Eingang, ein Anfang oder ein Ende? ein A oder ein O? Dies nimmt mich wunder!«
Das weise Pferd erwiderte »Alles dies ist zumal der Fall, und das ist eben das Herrliche und Bedeutungsvolle an der Sache! Ohne die schönen Ufer wäre die Brücke nichts, und ohne die Brücke wären die Ufer nichts. Alles, was auf der Brücke geht, ist und bedeutet nur etwas, insofern es aus dem Gelände hüben und drüben kommt und wieder dahin geht und dort etwas Rechtes ist, und dort kann man es wiederum nur sein, wenn man als etwas Rechtes über die Brücke gegangen ist. Wenn man auf der Brücke ist, so denkt man an nichts anderes und stürzt sich in den Verkehr, indessen man doch unversehens hinüber gelangt und wieder in seiner besonderen Behausung ist. Dort duselt und hantiert man in Küche und Keller, auf dem Estrich, rund in der Stube herum, als ob man nie auf der Brücke gewesen wäre, bis man plötzlich einmal den Kopf aus dem Fenster steckt und sieht, ob sie noch stehe; denn von allen Punkten aus kann man sie ragen und sich erstrecken sehen. So ist sie ein prächtiges
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