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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Gegenstand und dessen Schicksal geltend, das ihnen auf der Stirne stand; vorzüglich aber gefielen ihm die vielen feineren oder keckeren Kindergesichter, welche gleich den Blüten an diesem großen Baume zwischen den reifen Früchten überall hervorlächelten, deren Schicksal, dessen Beginn und Morgenrot hier für immer festgehalten schien, nun auch seit Jahrhunderten erfüllt und in die Erde gelegt war oder gar nicht zur Erfüllung gekommen, da ein Kreuz oder ein denatus ansagte, daß sie als Blüten schon vom Baume geweht worden. Manches gemalte Schwert und Panzerstück war im gleichen Saale auch in Wirklichkeit vorhanden, und der Graf hielt ihm die schweren Stücke mit leichter und kundiger Hand vor, indessen Heinrich sie auch nicht wie ein Mädchen ihm abnahm, da ihm die Waffenfähigkeit und – liebhaberei seines Geburtslandes in den Fingern steckte. Dorothea hingegen bewegte sich rasch und gefällig herum, stieg auf Schemel und Tritte, um einen alten silbernen Becher oder ein Kästchen herabzuholen, und wies und erklärte die Sachen mit freundlicher, aber fast mitleidiger Höflichkeit, was indessen Heinrich, der vollauf mit dem Beschauen der Gegenstände beschäftigt war, nicht bemerkte, sondern nur als einen angenehmen Eindruck zu dem übrigen empfand, ohne darauf zu achten. Erst als sie sich zu Tische setzten und man sich gegenübersaß, wo Dorothea, die den Männern vorlegte, mit noch erhöhter vornehmer Freundlichkeit und Herablassung den Gast nach seinen Wünschen und Bedürfnissen fragte, fiel ihm dies Wesen auf, das ihm gestern gar nicht vorhanden geschienen. Es gefiel ihm aber gar wohl, da er geneigt war, solchen schönen Geschöpfen nichts übelzunehmen, wenn sie nicht gerade zu herzlos waren, und um sie darin zu bestärken und ihr einen Gefallen zu tun, sagte er »Solche Anschaulichkeit und Durchsichtigkeit einer langen Vergangenheit sind doch eine Art von Concretum, das sich nicht willkürlich vergessen und verwischen läßt. Wenn es einmal da ist, so ist es da, und man kann sich nicht verhindern, an dem Vorhandenen seine Freude zu haben!«
    »Gewiß«, erwiderte der Graf, »nur ist es töricht, willkürlich fortsetzen und machen zu wollen, was unter ganz anderen Verhältnissen und Bedingungen geworden ist. Desnahen nenne ich mich auch ungeniert noch von soundso, weil diese Landschaft so heißt und nicht meine Person, welche kein Berg, sondern ein Mensch ist. Schon weil seltenerweise das Grundstück nie aus unserm Besitz gekommen ist und fortwährend welche von uns hier gewohnt haben in grader Linie, so erfordert eine gewisse Dankbarkeit gegen diese Erscheinung, daß man ihr die Ehre gebe. Ich selbst habe eine bürgerliche Frau genommen, welche früh gestorben ist und mir keinen Erben hinterließ; ich habe sie so geliebt, daß es mir nicht möglich war, wieder zu heiraten, und wenn es nicht zu seltsam klänge, so wäre ich fast froh, keinen Sohn zu hinterlassen; denn wenn ich mir denken müßte, daß diese Familiengeschichte noch einmal achthundert Jahre fortdauern könnte oder wollte, so würde mir dieser Gedanke Kopfschmerzen machen, da es Zeit ist, daß wir wieder untertauchen in die erneuende Verborgenheit. Ich selbst bin im Verfall des alten Reiches geboren und eigentlich schon ganz überflüssig, so daß sich unser Stamm müde fühlt in mir und nach kräftigender Dunkelheit sehnt. Wenn ich einen Sohn hätte, so würde ich auch Besitz und Stamm gewaltsam aufgegeben haben und dahin gezogen sein, wo kein Herkommen gilt und jeder von vorn anfangen muß, damit das Leibliche der Linie gerettet werde und ferner nütze und genieße, da dieses am Ende die Hauptsache ist.«
    Heinrich freute sich dieser Reden und fühlte sich durch sie geehrt. »Ist jene stolze schöne Dame, welche dazumal das Hündchen auf den Tisch setzte, vielleicht Ihre Gemahlin gewesen?« fragte er mit höflicher Teilnahme.
    »Nein«, sagte der Graf lachend, »das ist meine Schwester; die lebt als Gattin eines alten Edelmannes vom stolzesten Geblüte tief in Polen und ist ganz verbauert; auch hat sie zur Strafe für ihre Narrheiten schon vier Jahre in Sibirien zubringen müssen mit ihrem Eheherrn. Übrigens ist es eine ganz gute und liebe Dame, und wenn ich sterbe, so werde ich diesen ganzen Trödel hier zusammenpacken lassen und ihr zuschicken; vielleicht, wenn es gut geht, rutscht er mit der Zeit weiter ostwärts wieder nach Asien hinüber, woher unsere Urväter gekommen sind, und findet da ein gemütliches Grab!«
    Dorothea,

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