Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
Erde, Hölle, Zwischenreich, die sieben Himmel, alles war toll und doch nach einer gewissen Ordnung durcheinandergeworfen und gab ein angestrengtes, lohnendes Bemühen. Alle Sphären wurden mit entsprechenden Seelen bevölkert, welche darin gedeihen konnten. Ich bezeichnete sie mit Sternen und diese mit Namen; der glückseligste war mein Vater, zunächst dem Auge Gottes, noch, innerhalb des Dreieckes, und schien durch dieses allsehende Auge auf die Mutter und mich herunterzuschauen, welche in den schönsten Gegenden der Erde spazierten.
    Meine Widersacher aber schmachteten sämtlich in der Hölle, wo der Böse mit einem ansehnlichen Schwanze begabt war. Je nach dem Verhalten der Menschen veränderte ich ihre Stellungen, beförderte sie in reinere Gegenden oder setzte sie zurück, wo Heulen und Zähneklappen herrschte. Manchen ließ ich prüfungsweise im Unbestimmten schweben, sperrte auch wohl zwei, die sich im Leben nicht ausstehen mochten, zusammen in eine abgelegene Region, indessen ich zwei andere, die sich gern hatten, trennte, um sie nach vielen Prüfungen zusammenzubringen an einem glückseligern Orte. Ich führte so ganz im geheimen eine genaue Übersicht und Schicksalsbestimmung aller mir bekannten Leute, jung und alt.
    In der Theosophie war ferner anbefohlen, geschmolzenes Wachs in Wasser zu gießen, um ich weiß nicht mehr was zu versinnbildlichen. Ich füllte mehrere Arzneigläser mit Wasser und belustigte mich an den Bildungen, welche durch das hineingegossene Wachs entstanden, verschloß die Gläser und vermehrte dadurch meine gelehrte Sammlung. Dieses Gläserwesen sagte mir sehr zu, und ich fand einen neuen Stoff dafür, als ich einst mit tiefem Grauen durch eine anatomische Sammlung lief, welche dem Krankenhause beigegeben war.
    Einige Reihen von Embryonen und Föten in ihren Gläsern jedoch erwarben sich meinen lebhaften Beifall und boten einen trefflichen Gegenstand für meine Sammlung dar, indem ich dergleichen nachzubilden versuchte. In einem Schranke verwahrte die Mutter die aufgeschichtete Leinwand ihrer Mußezeit in rohen und gebleichten Stücken, und daselbst lagen auch, verborgen und vergessen, mehrere Scheiben reinlichen Wachses, die verjährten Zeugen einer einstigen fleißigen Bienenzucht. Von diesen brach ich immer ansehnlichere Stücke los und formte nun im kleinen solche großköpfige wunderliche Burschen, wie ich sie gesehen, und bestrebte mich, die Verschiedenheit ihrer phantastischen Bildung noch zu vergrößern. Ich trieb Gläser auf, soviel ich konnte, von allen Formen und Größen, und richtete die Bildwerke darnach ein.
    In langen schmalen Kölnischwasserflaschen, denen ich die Hälse abschlug, baumelten ebenso lange schmächtige Gesellen an ihrem Faden, in kurzen dicken Salbengläsern hausten knollenartige Gewächse. Statt mit Weingeist füllte ich die Gläser mit Wasser an und gab jedem Bewohner derselben einen Namen, welcher meinem humoristischen Interesse entsprach, das über der belustigenden Arbeit aus dem bloß gelehrten entstand. Es waren schon einige dreißig Mitglieder dieses schönen Vereins beisammen und das Wachs nahezu aufgebraucht, als ich meine Geschöpfe taufte mit Namen wie Schnurper, Fark, Vogelmann, Säbelbein, Schneider, Schmerbauch, Nabelhans, Wachsbeißer, Wächserich, Honigteufel und dergleichen, und ich empfand ein dauerndes Vergnügen, indem ich zugleich für jeden eine kurze Lebensbeschreibung verfaßte, die sich in dem Berge zugetragen hatte, aus welchem nach unserm Ammenmärchen die kleinen Kinder geholt werden. Ich verfertigte auch eigene Sphärentafeln für sie, worauf jeder verzeichnet war mit seiner tugendlichen oder schlimmen Aufführung, und wenn einer mein Mißfallen erregte, so wurde er so gut an einen schlechtern Ort gebracht als die lebendigen Leute. Ich trieb diese Dinge alle in einer abgelegenen Kammer, wo ich eines Abends in der Dämmerung alle Gläser auf meinen Lieblingstisch stellte, ein altes braunes Möbel mit etlichen Auszügen. Ich reihte die Gläser in einen großen Kreis, die vier Elemente in der Mitte, und breitete meine bunten Tabellen aus, beleuchtet von einigen Wachsmännern, denen Dochte aus erhobenen Händen brannten, und vertiefte mich nun in die Konstellationen auf den Karten, während ich die betreffenden Schicksalsträger einzeln vortreten ließ und musterte, den Wächserich und den Hürlimann, den Meyer oder den Vogelmann. Von ungefähr stieß ich an den Tisch, daß alle Gläser erzitterten und die Wachsmännchen

Weitere Kostenlose Bücher