Der gruene Stein
dass es für Lisutaris eine Frage des Stolzes ist, mit dem schönsten Kostüm von allen aufzutauchen, und so suche ich die Menge nach einer Person ab, die besonders fabelhaft aussieht. Bedauerlicherweise kann ich unter sehr vielen Kandidatinnen wählen. In den Gärten tummeln sich jede Menge maskierte Gäste, angefangen bei Männern wie mir, die nur in formelle Togen gekleidet sind und eine kleine Gesichtsmaske tragen, bis zu denen, die vermutlich Wochen für die Anfertigung ihres höchst kunstvollen Kostüms gebraucht haben. Piraten, Soldaten, Elfen, berühmte Gestalten der Geschichte, Eisfeen, Engel, Barbaren – es gibt alle Arten von Masken und Kostümen. Ich nähere mich einer Gestalt in einer wundervollen Adlermaske, in der Hoffnung, dass es sich um Lisutaris handeln könnte. Aber dann höre ich enttäuscht, wie sie sich bei ihrer Gefährtin über die derzeitigen hohen Preise auf dem Markt beschwert. Lisutaris würde es für unter ihrer Würde halten, sich über so etwas zu beschweren.
Wo Makri wohl ist? Sie könnte ebenfalls im Haus sein und sich von Lisutaris’ Stylisten verschönern lassen. Was bedeutet, dass die beiden sich vielleicht eine Thazispfeife teilen. Und dies wiederum heißt, dass sie erst in einigen Stunden auftauchen werden. Es behagt mir gar nicht, die ganze Zeit das Medaillon mit mir herumschleppen zu müssen. Nicht zuletzt aus Angst, dass die latente Zauberkraft, die es besitzt, vielleicht schleichend ausstrahlen und mich beeinflussen könnte. Ich habe bereits eine Waldnymphe gesehen, die erschreckend echt wirkte. Ich sollte das Medaillon so schnell wie möglich zurückgeben. Man kann auch nicht wissen, wann Konsul Kahlius es sich in den Kopf setzt, Lisutaris zur Rede zu stellen und es sich von ihr zeigen lässt. Falls Harm der Mörderische tatsächlich plant, uns einen Besuch abzustatten, wäre es mir ebenfalls lieber, wenn Lisutaris im Besitz des Medaillons wäre und nicht ich. Soll sie sich doch mit seiner zauberischen Boshaftigkeit auseinander setzen. Ich darf keine Zeit mehr verschwenden. Ich muss Lisutaris finden.
Und ich brauche ein Bier. Die einzigen unmaskierten Leute in dem Garten sind die Lakaien.
»Ihr habt nicht zufällig auch ein Bier im Angebot?«, frage ich einen, während ich die Getränkeauswahl auf seinem Tablett unzufrieden beäuge.
»Ich glaube, im blauen Zelt gibt es Bier. Für die Musiker«, informiert er mich.
Ohne weitere Zeit bei der Suche nach Lisutaris zu verschwenden, leiste ich mir einen schnellen Abstecher ins blaue Zelt, in dem einige Paare zu der feierlichen Musik eines kleinen Orchesters tanzen. Der Lakai hat mich gut eingewiesen. Kein professioneller Musiker spielt eine ganze Nacht durch, wenn er nur auf Wein angewiesen ist. Es gibt tatsächlich Bier, und ich bediene mich. Ich proste dem Orchester mit meinem Krug zu und betrachte die Tänzer, während ich auf den nächsten Krug warte. Sie tanzen den langsamen, formellen und ziemlich komplizierten Hoftanz, der von Turais Tanzlehrern unterrichtet und in den vornehmsten Häusern bevorzugt wird. Ich habe sogar selbst einige Schritte davon gelernt, als ich noch im Palast gearbeitet habe, obwohl ich mich dabei niemals sehr wohl gefühlt habe. Ein Mann, der als eine Art Hofnarr verkleidet ist, schwenkt eine Frau in einem Nonnenkostüm herum und führt die Reihe der Tänzer an. Eine große Gruppe Piraten und Barbaren folgt den beiden über die Tanzfläche. Nach der Zahl der Tänzer in dem Zelt und der zivilisierten Zuschauer davor zu urteilen, scheint Lisutaris’ Maskenball ein voller Erfolg zu sein. Ich sollte sie finden. Die Nacht ist außerordentlich warm. Ich trinke noch ein paar Krüge Bier, nur für alle Fälle, und gehe los. Ich beschließe, mein Glück im Haus zu versuchen. Vor dem Zelt treffe ich den Lakaien wieder.
»Habt Ihr Lisutaris gesehen?«, frage ich ihn. »Wisst Ihr, welches Kostüm sie trägt?«
Er sieht mich von oben herab an. »Also bitte!«, ruft er. »Ist Euch denn die Etikette eines Maskenballs nicht bewusst?«
»Und was für eine Etikette soll das sein?«
»Man darf nie jemanden fragen, wer er ist«, antwortet er hochmütig. »Das wäre der Gipfel an schlechten Manieren!«
Ich trolle mich gedemütigt in Richtung Haus. Der Vizekonsul kommt auf mich zu. Zitzerius trägt zwar eine Maske, aber er ist in seine Amtstoga gekleidet und daher leicht zu erkennen. Wenn er mich in dieser billigen Zitzerius-Maske erwischt, dann steht mir Ärger ins Haus. Ich springe in die Büsche neben mir.
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