Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
Vom Netzwerk:
waren aus einem hellen, granitähnlichen Stein, der von grünlichen Adern durchzogen war.
    Ich schwebte durch die Ruinen der verlassenen Stadt, ein Geist aus einer fernen Welt, und überlegte, welche Wesen in diesen zerfallenden Häusern und Palästen gelebt haben mochten und welche Träume sie geträumt hatten. Und unter einer vom Flugsand verschliffenen Säulenarkade fand ich schließlich ein Wandrelief, das an dieser geschützten Stelle die Äonen überdauert hatte und Darstellungen der längst verschwundenen Bewohner der Küstenstadt zeigte. Mit ehrfürchtigem Staunen betrachtete ich dieses Selbstzeugnis einer Rasse, die schon ausgestorben gewesen sein mußte, bevor die Evolution irdischen Lebens die ersten Säugetiere hervorgebracht hatte.
    Es waren im Verhältnis zur Körperlänge unglaublich dünne Lebewesen, die auf zweien ihrer sechs offenbar knochenlosen Gliedmaßen gingen und so eine entfernt menschenähnliche Haltung zeigten. Ihre Köpfe waren nur als Ovale dargestellt, die weder Augen noch Gesichtszüge aufwiesen und auf anmutig gebogenen langen Hälsen saßen. Die beiden vordersten Gliedmaßen aller fünf oder sechs Figuren waren zum Himmel gereckt, und die glatten Ovale ihrer Köpfe auf den zurückgebogenen Hälsen schienen sehnsüchtig zu den Sternen aufzublicken, die sie nicht erreichen konnten.
    Ich wandte mich bewegt und beunruhigt ab. Diese Stadt war eine Nekropole. Hier regierte der Tod, und nur Schatten und rieselnder Sand trieben durch die stillen Straßen zwischen den Ruinen.
    Draußen auf der mächtigen Kaimauer, wo einst die Wogen eines verschwundenen Meers gegen die Granitquader gebrandet hatten und nun Sanddünen hier und dort über das alte Bollwerk leckten, hob ich meinen Blick zu den Sternen, die wie Diamanten auf schwarzem Samt funkelten, bei weitem klarer und brillanter als man sie durch die dichte und dunstige Atmosphäre der Erde glitzern sieht.
    Wenn ich den Abgrund zwischen den Planeten überwinden konnte, dann waren auch die Sterne dort draußen nicht außerhalb meiner Reichweite, und ich hatte keine Angst, mich in der sternbesäten Unendlichkeit des Universums zu verlieren, denn der bloße Wunsch, in meinen schlafenden Körper zurückzukehren, würde eben dies bewirken, selbst wenn ich keine Vorstellung von Richtung und Entfernung hätte.
    Als ich so zum Himmel aufblickte, fesselte ein seltsam grün leuchtender Stern meine Aufmerksamkeit.
    Der ferne Lichtfunke glühte wie ein Smaragd, funkelte aus seiner Höhe herab, als wolle er mich aus der unvorstellbaren Ferne, in der er hing, zu sich rufen.
    Warum gerade dieser unter den Tausenden von Sternen, die die Marsnacht erfüllten, meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, kann ich nicht sagen. Vielleicht war es so, weil Grün ein seltener Farbton für einen Stern ist, und daß ich mich nicht entsinnen konnte, jemals einen Stern dieser seltsamen Farbe gesehen zu haben. Es mag auch sein, daß die Faszination, die mich nun ergriff, einen anderen und weit seltsameren Grund hatte –, aber davon will ich zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort sprechen.
    Es mag genügen, wenn ich sage, daß ich meinen Blick nicht mehr von diesem fernen grünen Leuchtfeuer abwenden konnte. Und ich dachte: Warum nicht? Bloße Distanz ist kein Hindernis für einen körperlosen Geist. Ich kann das Universum umsegeln, wenn ich nur will.
    Und so verließ ich die öde Oberfläche des Mars und überließ die tote Stadt hinter mir ihren Schatten und vergessenen Erinnerungen. Und ich flog hinaus in die Weiten des größeren Universums.
    Inzwischen hatte ich alles Zeitgefühl verloren. In diesem körperlosen Bereich waren Zeit und Raum, Entfernung und Dauer ohne wirkliche Bedeutung, und ich entdeckte, daß das Bewußtsein von verstreichender Zeit nur eine Gewohnheit des körpergebundenen Verstands ist, nicht mehr.
    So kann ich nicht sagen, ob mein Flug zu dem grünen Stern nur einen Augenblick währte oder eine gewisse Dauer hatte. Ich war mir keiner Bewegung bewußt. Die matte rote Scheibe des Mars schrumpfte und verschwand unter mir; die alles überstrahlende Sonne wurde klein und verlor sich im Meer der Sterne, und gleich darauf – so schien es mir wenigstens – hing der grüne Stern vor mir, eine gewaltige Kugel frühlingsfarbenen Feuers.
    Eine Weile schwebte ich dort im Raum, unschlüssig vor dem schrecklichen, alles verzehrenden Glutball.
    Dann sah ich abseits eine Welt in der ewigen Nacht schwimmen – einen Planeten wie den, auf dem ich geboren war,

Weitere Kostenlose Bücher