Der gute Mensch von Sezuan
geistesabwesend an. Dann geht er ins Gelaß und kehrt mit einer Tüte zurück. Aus ihr zieht er einen neuen Melonenhut und wirft ihn auf den Schreibtisch.
SHUI TA Die Firma wünscht ihre Vertreter anständig gekleidet.
SUN Haben Sie den etwa für mich gekauft?
SHUI TA gleichgültig: Probieren Sie ihn, ob er Ihnen paßt.
Sun blickt erstaunt und setzt ihn auf. Shui Ta rückt die Melone prüfend zurecht.
SUN Ihr Diener, aber weichen Sie mir nicht wieder aus. Sie müssen heute mit dem Barbier das neue Projekt besprechen.
SHUI TA Der Barbier stellt unerfüllbare Bedingungen.
SUN Wenn Sie mir nur endlich sagen wollten, was für Bedingungen.
SHUI TA ausweichend: Die Baracken sind gut genug.
SUN Ja, gut genug für das Gesindel, das darin arbeitet, aber nicht gut genug für den Tabak. Er wird feucht. Ich werde noch vor der Sitzung mit der Mi Tzü über ihre Lokalitäten reden. Wenn wir die haben, können wir unsere Bittfürmichs, Wracks und Stümpfe an die Luft setzen. Sie sind nicht gut genug. Ich tätschele der Mi Tzü bei einer Tasse Tee die dicken Knie, und die Lokalitäten kosten uns die Hälfte.
SHUI TA scharf: Das wird nicht geschehen. Ich wünsche, daß Sie sich im Interesse des Ansehens der Firma stets persönlich zurückhaltend und kühl geschäftsmäßig benehmen.
SUN Warum sind Sie so gereizt? Sind es die unangenehmen Gerüchte im Viertel?
SHUI TA Ich kümmere mich nicht um Gerüchte.
SUN Dann muß es wieder der Regen sein. Regen macht Sie immer so reizbar und melancholisch. Ich möchte wissen, warum.
WANGS STIMME von draußen:
Ich hab Wasser zu verkaufen
Und nun steh ich hier im Regen
Und ich bin weither gelaufen
Meines bißchen Wassers wegen.
Und jetzt schrei ich mein: Kauft Wasser!
Und niemand kauft es
Verschmachtend und gierig
Und zahlt es und sauft es.
SUN Da ist dieser verdammte Wasserverkäufer. Gleich wird er wieder mit seinem Gehetze anfangen.
WANGS STIMME von draußen: Gibt es denn keinen guten Menschen mehr in der Stadt? Nicht einmal hier am Platz, wo die gute Shen Te lebte? Wo ist sie, die mir auch bei Regen ein Becherchen abkaufte, vor vielen Monaten, in der Freude ihres Herzens? Wo ist sie jetzt? Hat sie keiner gesehen? Hat keiner von ihr gehört? In dieses Haus ist sie eines Abends gegangen und kam nie mehr heraus!
SUN Soll ich ihm nicht endlich das Maul stopfen? Was geht es ihn an, wo sie ist! Ich glaube übrigens, Sie sagen es nur deshalb nicht, damit ich es nicht erfahre.
WANG herein: Herr Shui Ta, ich frage Sie wieder, wann Shen Te zurückkehren wird. Sechs Monate sind jetzt vergangen, daß sie sich auf Reisen begeben hat. Da Shui Ta schweigt. Vieles ist inzwischen hier geschehen, was in ihrer Anwesenheit nie geschehen wäre. Da Shui Ta immer noch schweigt. Herr Shui Ta, im Viertel sind Gerüchte verbreitet, daß Shen Te etwas zugestoßen sein muß. Wir, ihre Freunde, sind sehr beunruhigt. Haben Sie doch die Freundlichkeit, uns jetzt Bescheid über ihre Adresse zu geben!
SHUI TA Leider habe ich im Augenblick keine Zeit, Herr Wang. Kommen Sie in der nächsten Woche wieder.
WANG aufgeregt: Es ist auch aufgefallen, daß der Reis, den die Bedürftigen hier immer erhielten, seit einiger Zeit morgens wieder vor der Tür steht.
SHUI TA Was schließt man daraus?
WANG Daß Shen Te überhaupt nicht verreist ist.
SHUI TA Sondern? Da Wang schweigt. Dann werde ich Ihnen meine Antwort erteilen. Sie ist endgültig. Wenn Sie Shen Tes Freund sind, Herr Wang, dann fragen Sie möglichst wenig nach ihrem Verbleiben. Das ist mein Rat.
WANG Ein schöner Rat! Herr Shui Ta, Shen Te teilte mir vor ihrem Verschwinden mit, daß sie schwanger sei!
SUN Was?
SHUI TA schnell: Lüge!
WANG mit großem Ernst zu Shui Ta: Herr Shui Ta, Sie müssen nicht glauben, daß Shen Tes Freunde je aufhören werden, nach ihr zu fragen. Ein guter Mensch wird nicht leicht vergessen. Es gibt nicht viele. Ab.
Shui Ta sieht ihm erstarrt nach. Dann geht er schnell in das Gelaß.
SUN zum Publikum: Shen Te schwanger! Ich bin außer mir! Ich bin hereingelegt worden! Sie muß es sofort ihrem Vetter gesagt haben, und dieser Schuft hat sie selbstverständlich gleich weggeschafft. »Pack deinen Koffer und verschwind, bevor der Vater des Kindes davon Wind bekommt!« Es ist ganz und gar unnatürlich. Unmenschlich ist es. Ich habe einen Sohn. Ein Yang erscheint auf der Bildfläche! Und was geschieht? Das Mädchen verschwindet, und man läßt mich hier schuften! Er gerät in Wut. Mit einem Hut speist man mich ab! Er
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