Der gute Mensch von Sezuan
Fräulein. Ab.
DIE FRAU nach einer Pause: Jetzt kommt alles auf! Du kannst sicher sein, morgen früh weiß die Bescheid über dich.
DIE SCHWÄGERIN leise zum Neffen: Das wird hier nicht lange dauern!
Herein ein Greis, geführt von einem Jungen.
DER JUNGE nach hinten: Da sind sie.
DIE FRAU Guten Tag, Großvater. Zu Shen Te: Der gute Alte! Er hat sich wohl um uns gesorgt. Und der Junge, ist er nicht groß geworden? Er frißt wie ein Scheunendrescher. Wen habt ihr denn noch alles mit?
DER MANN hinausschauend: Nur noch die Nichte.
DIE FRAU zu Shen Te: Eine junge Verwandte vom Land. Hoffentlich sind wir dir nicht zu viele. So viele waren wir noch nicht, als du bei uns wohntest, wie? Ja, wir sind immer mehr geworden. Je schlechter es ging, desto mehr wurden wir. Und je mehr wir wurden, desto schlechter ging es. Aber jetzt riegeln wir hier ab, sonst gibt es keine Ruhe.
Sie sperrt die Türe zu, und alle setzen sich.
DIE FRAU Die Hauptsache ist, daß wir dich nicht im Geschäft stören. Denn wovon soll sonst der Schornstein rauchen? Wir haben uns das so gedacht: Am Tag gehen die Jüngeren weg, und nur der Großvater, die Schwägerin und vielleicht ich bleiben. Die anderen sehen höchstens einmal oder zweimal herein untertags, nicht? Zündet die Lampe dort an und macht es euch gemütlich.
DER NEFFE humoristisch: Wenn nur nicht der Vetter heut nacht hereinplatzt, der gestrenge Herr Shui Ta!
Die Schwägerin lacht.
DER BRUDER langt nach einer Zigarette: Auf eine wird es wohl nicht ankommen!
DER MANN Sicher nicht.
Alle nehmen sich zu rauchen. Der Bruder reicht den Weinkrug herum.
DER NEFFE Der Vetter bezahlt es!
DER GROSSVATER ernst zu Shen Te: Guten Tag!
Shen Te, verwirrt durch die späte Begrüßung, verbeugt sich. Sie hat in der einen Hand die Rechnung des Schreiners, in der andern den Mietskontrakt.
DIE FRAU Könnt Ihr nicht etwas singen, damit die Gastgeberin etwas Unterhaltung hat?
DER NEFFE Der Großvater fängt an!
Sie singen
D AS L IED VOM R AUCH
DER GROSSVATER
Einstmals, vor das Alter meine Haare bleichte
Hofft mit Klugheit ich mich durchzuschlagen.
Heute weiß ich, keine Klugheit reichte
Je, zu füllen eines armen Mannes Magen.
Darum sagt ich: laß es!
Sieh den grauen Rauch
Der in immer kältre Kälten geht: so
Gehst du auch.
DER MANN
Sah den Redlichen, den Fleißigen geschunden
So versucht ich's mit dem krummen Pfad
Doch auch der führt unsereinen nur nach unten
Und so weiß ich mir halt fürder keinen Rat.
Und so sag ich: laß es!
Sieh den grauen Rauch
Der in immer kältre Kälten geht: so
Gehst du auch.
DIE NICHTE
Die da alt sind, hör ich, haben nichts zu hoffen
Denn nur Zeit schafft's und an Zeit gebricht's.
Doch uns Jungen, hör ich, steht das Tor weit offen
Freilich, hör ich, steht es offen nur ins Nichts.
Und auch ich sag: laß es!
Sieh den grauen Rauch
Der in immer kältre Kälten geht: so
Gehst du auch.
DER NEFFE Woher hast du den Wein?
DIE SCHWÄGERIN Er hat den Sack mit Tabak versetzt.
DER MANN Was? Dieser Tabak war das einzige, das uns noch blieb! Nicht einmal für ein Nachtlager haben wir ihn angegriffen! Du Schwein!
DER BRUDER Nennst du mich ein Schwein, weil es meine Frau friert? Und hast selber getrunken. Gib sofort den Krug her!
Sie raufen sich. Die Tabakstellagen stürzen um.
SHEN TE beschwört sie: Oh, schont den Laden, zerstört nicht alles! Er ist ein Geschenk der Götter! Nehmt euch, was da ist, aber zerstört es nicht!
DIE FRAU skeptisch: Der Laden ist kleiner, als ich dachte. Wir hätten vielleicht doch nicht der Tante und den andern davon erzählen sollen. Wenn sie auch noch kommen, wird es eng hier.
DIE SCHWÄGERIN Die Gastgeberin ist auch schon ein wenig kühler geworden!
Von draußen kommen Stimmen, und es wird an die Tür geklopft.
RUFE Macht auf! Wir sind es!
DIE FRAU Bist du es, Tante? Was machen wir da?
SHEN TE Mein schöner Laden! O Hoffnung! Kaum eröffnet, ist er schon kein Laden mehr! Zum Publikum:
Der Rettung kleiner Nachen
Wird sofort in die Tiefe gezogen:
Zu viele Versinkende
Greifen gierig nach ihm.
RUFE von draußen: Macht auf!
Z WISCHENSPIEL
U NTER EINER B RÜCKE
Am Fluß kauert der Wasserverkäufer.
WANG sich umblickend: Alles ruhig. Seit vier Tagen verberge ich mich jetzt schon. Sie können mich nicht finden, da ich die Augen offenhalte. Ich bin absichtlich entlang ihrer Wegrichtung geflohen. Am zweiten Tage haben sie die Brücke passiert, ich hörte ihre Schritte über mir. Jetzt müssen sie schon weit weg
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