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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Schwester, von der du nichts weißt. Du kannst in Ruhe darüber nachdenken, ob du meine Worte zur Kenntnis nehmen willst oder weiterhin davon keine Ahnung hast.«
    Ernst drückte mir beide Hände und konnte nichts sagen.
    Ich hatte eine grauenhafte Angst vor Narkose und Operation. Früher hatte ich nie verstanden, wenn meine Bekannten sich vor einem Arztbesuch drückten und bei einer notwendigen Operation in Panik gerieten. Ich hatte sogar ausdrücklich betont: »Für die Ärzte ist das eine reine Routine-
    Angelegenheit; täglich machen sie solche Schneiderarbeit wie am Fließband - da kann einfach nichts schiefgehen.«
    Jetzt, wo es um mich persönlich ging, sah die Fließbandarbeit anders aus. Immer wieder las man ja von Patienten, die aus der Narkose nicht mehr aufwachten, aber dank unmenschlicher Technik als lebender Leichnam noch jahrelang ein Bett beanspruchten. Wäre es eine Lösung für mich, überhaupt nicht mehr aufzuwachen?
    Im Krankenhaus wies man mich in ein Zweibettzimmer ein; sämtliche vorherigen Untersuchungen wurden noch einmal wiederholt. Im Nachbarbett lag eine schweigsame Person mittleren Alters, die emsig an einem schockrosa Hütchen für Toilettenpapier häkelte und erst auf zweimaliges Fragen antwortete, sie würde morgen entlassen.
    Am Abend vor der Operation kam ein griechischer Anästhesist, um meinen Blutdruck zu kontrollieren, meine Laborwerte, EKG und Thoraxaufnahme zu studieren und mich eingehend nach Familien- und eigenen Krankheiten sowie Allergien zu befragen.
    »Haben Sie Angst?« fragte er.
    Ich nickte.
    »Viele Menschen fürchten sich vor der Narkose, weil sie sich einbilden, beim Aufwachen tot zu sein«, scherzte er (ich fand es überhaupt nicht lustig), »aber ich könnte Ihnen eine Epidural-Anästhesie anbieten, bei der Sie nur in der unteren Hälfte betäubt werden.«
    »Um Gottes willen, dann sehe ich ja die rohen Gesichter der Chirurgen und höre, wie sie über Fußball reden und ihre Messer wetzen!«
    »Sie würden durch sedierende Mittel in einen schläfrigen Zustand versetzt und die Augen schließen. Für die Ohren gibt es Kopfhörer. Ich habe eine Kassette mit wunderbarer SirtakiMusik.«
    Gern hätte ich gesagt, er solle sich den Sirtaki an seine grüne Duschhaube stecken. Aber ich blieb höflich und bat ihn, mir eine anständige Feld-Wald-Wiesen-Narkose zu verpassen, damit ich nicht das geringste von der Prozedur mitkriegen könnte.
    Anschließend klärte mich ein Chirurg über die Operationsmethoden und -risiken auf. Ich nickte sachverständig, hatte hinterher aber das Gefühl, in meiner großen Aufregung kein Wort verstanden zu haben.
    In dieser Nacht schlief ich seltsamerweise gut, eingewiegt durch ein Schlafmittel. Die Frau neben mir wurde in der Frühe von einem verbitterten Mann abgeholt, der es nicht für nötig hielt, mir guten Morgen zu wünschen.
    Noch bevor man mich in den OP-Saal schaffte, wurde das ausgewechselte Nebenbett neu belegt. Eine weißhaarige Alte preßte mit schmerzhaftem Druck meine Hand.
    »Ich bin die neue Stubenkameradin!«
    Meine Kameradin zog einen Schlafanzug aus lila Frottee an und begann ihre Krankenhauszeit mit Purzelbaum, Kerze und Brücke auf der schmalen Bettstatt. Ich erfuhr, daß sie in ihrer Jugend Meisterin auf dem Rhönrad gewesen war. Als sie gerade anfing, mir aus einem Körnerbuch Rezepte für makrobiotische Gerichte vorzulesen, wurde ich abgeholt.
    Ich erwachte erst Stunden später, eine Infusion am Arm und eine Krankenschwester an der Seite. Ich lebte noch.
    Irgendwann aber setzten Schmerzen ein, langsam dämmerte ich aus Schlaf und Traum hervor und begriff, daß mir Schreckliches angetan worden war. An der Wand vor mir hingen Dürers betende Hände und van Goghs Zugbrücke, von einer passionierten Oberschwester als Hoffnungsträger aufgehängt.
    Die Kameradin wurde am nächsten Tag operiert. Als es uns beiden besser ging und sie mir schließlich aus dem Tagebuch einer bayrischen Rutengängerin vorlas, wünschte ich mir eine neue Nachbarin.
    Das war einer der wenigen Wünsche, die in Erfüllung gingen, und auch nur, weil ich besonders lange in der Klinik lag.
    Die Neue war dachshaarig und wie ein kleines Mädchen ganz in einer einzigen Farbe angezogen: grün die Socken, grün Rock und Pullover, grün Schuhe und Schal. Als die Grüne fertig im moosfarbenen Nachthemd hingestreckt war, kam ihr Mann herein, der im Flur gewartet hatte. Ich hörte wieder einmal vertrauten Berliner Jargon.
    »Ick hab’ dir’n Foto von der

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