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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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und nehme dich wieder mit zurück.«
    »Sag mal, wie viele Krimis ...« Aber er schien doch über meinen Vorschlag nachzudenken.
    »Es geht nicht. Schon auf der Treppe können wir gesehen werden!«
    »Wenn wir bis Mitternacht warten, ist es völlig problemlos. Meine Nachbarin geht früh ins Bett, die Alten unter mir erst recht, das junge Paar ist sowieso verreist...«
    »Ich habe Hunger«, sagte Witold unvermutet. Ich wertete das als positives Zeichen.
    »Was soll ich dir machen? Käsebrot, Eier?«
    »Ja, ein Brot. Von mir aus Brot mit einem Spiegelei darauf.«
    Ich ging in die Küche und ließ Butter in der Pfanne heiß werden. Der Geruch verursachte mir einen Magenkrampf. Doch ich bin zäh, brachte nach fünf Minuten das Gewünschte auf den Tisch und fragte, was Witold trinken wollte. Er hörte nicht hin, schien nachzudenken und mechanisch zu essen.
    Nun wagte ich mich noch einmal ins Bad. Ich wischte wieder gründlich auf und betrachtete mir dann den Toten. Die Kopfwunde hatte nicht allzulange geblutet, nur der kleine Frotteeteppich vor der Badewanne war blutgetränkt. Auch das Hirn war nicht ausgetreten oder sonstige schleimige Substanzen.
    Der erste Mann, den ich umgebracht hatte! Ich sah ihn mir eingehend an; er war relativ klein, drahtig und sportlich. Hätte er sich nicht in vollkommener Sicherheit gewähnt, wäre mir die Überrumpelung niemals geglückt. Ein wenig spürte ich jetzt Stolz und Erleichterung, wenn auch die Angst und der stets lauernde körperliche Zusammenbruch noch im Vordergrund standen.
    Inzwischen hatte Witold aufgegessen. Er hatte es geschafft, daß mein kleines Zimmer schon in kurzer Zeit voller Qualm war. Aber ich verlor kein Wort darüber, da er ernsthaft zu überlegen schien, wie man die Leiche verschwinden lassen könnte.
    »Die Idee mit dem Steinbruch ist nicht so übel«, sagte er, »wenn man die Leiche ungesehen ins Auto geschafft hat, ist alles andere gar nicht so problematisch.«
    »Man müßte ihn jetzt schon etwas zusammenfalten«, schlug ich vor, »ich weiß nämlich nicht, wie schnell er steif wird.«
    Witold ekelte sich bei meinen praktischen Worten, aber es leuchtete ihm ein. Er stand auf, und ich folgte ihm ins Badezimmer.
    »Hast du einen großen Müllsack?« fragte er. Meine Müllsäcke waren leider klein, passend für meinen Küchenmülleimer, denn bei mir fielen ja keine Gartenabfälle an. Ich wickelte die blutige Badematte um den Kopf des Toten und stülpte die größte Plastiktüte darüber.
    »Ich könnte ja einen Bettbezug nehmen«, schlug ich vor, »wenn uns dann jemand auf der Treppe sehen sollte, sieht es wie ein großer Wäschesack aus.« Witold sagte nur: »Wir probieren es mal.« Ich holte meinen schlechtesten Bezug aus dem Schrank. Gemeinsam brachten wir den Toten in eine zusammengekauerte Stellung, die er ansatzweise schon vorher eingenommen hatte, und schoben ihn in den Bettbezug. Es war ein sehr unhandliches Bündel. Witold hob es probeweise hoch; er konnte dieses Paket zwar tragen, aber wie ein Sack voll Wäsche sah es nicht aus.
    »Wir müssen noch etwas warten«, sagte ich, »es ist erst elf, da laufen noch zu viele Leute auf der Straße und vielleicht sogar auf der Treppe herum.«
    Der Dieskau kam plötzlich aus dem Wohnzimmer gelaufen und begann unser Wäschepaket ausgiebig zu beschnüffeln. Ich sperrte ihn wieder ins Schlafzimmer, irgendwie schämte ich mich vor dem Hund.
    Wir saßen zusammen und berieten.
    »Entweder wir nehmen den Steinbruch in Dossenheim oder den in Weinheim«, überlegte Witold. Ich hatte den Verdacht, daß er einen gewissen sportlichen Ehrgeiz entwickelte, diese Aufgabe vorbildlich zu lösen. Pfadfinderträume, am Lagerfeuer singen, mit dem Taschenmesser schnitzen, Spuren auslöschen, Räuber und Gendarm spielen - solche kindlichen Wünsche waren in seinem Herzen nicht verkümmert, sie warteten geradezu darauf, irgendwann in die Tat umgesetzt zu werden. Dazu kam seine ausgeprägte Ader, den großen Bruder zu spielen, der alle Frauen als kleine Schwester sieht und an die
    Hand nimmt, sie dazu bringt, ihn zu verehren, sie tröstet und anleitet. Er war genau der richtige Komplize. Abgesehen davon standen seine Moral und Entschlußkraft auf wackligen Füßen; ich war, was die Schnelligkeit einer pragmatischen Entscheidung angeht, ihm weit überlegen.
    »Um zwölf hole ich den Wagen wieder her. Du kannst mir ja schon zeigen, wo die Kellereinfahrt ist.«
    Ich begleitete Witold nach unten, er besah sich die Stelle, wo er den Wagen

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