Der Hahn ist tot
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I n der Schule hatte ich zwei altjüngferliche Lehrerinnen, die behaupteten, ihre Verlobten seien im Krieg gefallen. Wenn man wie ich nicht verheiratet, verwitwet, geschieden ist, keinen Lebensgefährten oder Freund hat - von Kindern ganz zu schweigen - und nicht mal mit kurzfristigen Männerbekanntschaften aufwarten kann, dann kriegt man heute wie damals einen abwertenden Spitznamen angehängt. Aber eine alte Jungfer wie meine Lehrerinnen bin ich nicht. Und es gibt auch Leute, die meinen Status positiv sehen: Verheiratete Kolleginnen betrachten meine Unabhängigkeit, meine Reisen, meine berufliche Karriere oft mit Neid und dichten mir so manches romantische Urlaubserlebnis an, wozu ich vielsagend lächle.
Ich verdiene gut, ich halte mich gut. Mit meinen zweiundfünfzig Jahren sehe ich besser aus als in meiner Jugend. Mein Gott, wenn ich die Fotos von damals sehe! Gute zwanzig Pfund zuviel, eine unvorteilhafte Brille, diese plumpen Schnürschuhe und der Bordürenrock. Ich war die Frau, mit der man angeblich Pferde stehlen kann und die schließlich selbst einem Pferd immer ähnlicher wurde. Warum hat mir damals keiner gesagt, daß es auch anders geht! Makeup habe ich verachtet, ohne dabei »natürlich« auszusehen. Ich war voller Komplexe. Heute bin ich schlank und gepflegt, meine Kleider, mein Parfüm und erst recht meine Schuhe sind teuer. Hat es was gebracht?
Damals im Bordürenrock studierte ich Jura. Warum gerade das? Vielleicht weil ich keine ausgesprochene Begabung für Sprachen hatte und, ehrlich gesagt, auch sonst keine. Ich dachte etwas naiv, in diesem neutralen Fach wäre ich gut untergebracht. Viele Jahre war ich befreundet mit Hartmut. Wir lernten uns gleich im ersten Semester kennen. Eine zündende Leidenschaft war es nicht; wir paukten zusammen bis in die Nacht, und schließlich war es zu spät zum Heimgehen. So entwickelte sich ein festes Verhältnis, und eigentlich war mir klar, daß es auf eine Ehe mit zwei Kindern und einer gemeinsamen Anwaltspraxis hinauslief. Kurz vorm Examen, ich hatte damals nur Paragraphen im Kopf, teilte mir Hartmut schriftlich mit, daß er demnächst heiraten würde. Ich fiel aus allen Wolken und durch die Prüfung. Hartmut bestand und wurde bald darauf Vater. Ich sah ihn zuweilen mit Frau und Kinderwagen durch unseren Park spazieren.
Mir ging’s schlecht damals, ich nahm dramatisch zu und wieder ab und wollte um keinen Preis ein zweites Mal zum Examen antreten. Meine Mutter starb in jener Zeit, mein Vater war schon lange tot. Geschwister habe ich nicht; ich war sehr einsam.
In den Semesterferien hatte ich häufig bei einer Rechtsschutzversicherung gearbeitet. Man bot mir dort eine Stelle als Sachbearbeiterin an; es war nichts Aufregendes und wurde schlecht bezahlt. Trotzdem nahm ich an, denn schließlich mußte ich auf eigenen Füßen stehen, obgleich ich von meiner Mutter eine kleine Erbschaft hatte. So sah es mit mir aus vor siebenundzwanzig Jahren.
Ich blieb noch acht Jahre in Berlin. Bei meiner Versicherung machte ich ein wenig Karriere; ich war bienenfleißig, ich hatte den Ehrgeiz einer Beinah-Akademikerin, und schließlich hatte ich kaum andere Ablenkungen. Der berufliche Erfolg tat wenigstens gut, ich mauserte mich auch äußerlich, wurde selbstbewußter, tat viel für die gute Figur, ging ständig zu Frisör und Kosmetikerin, kaufte mir eine teure und sehr englische Garderobe. In den letzten Berliner Jahren wurde einer der Chefs auf mich aufmerksam und förderte mich.
Nach fünfjähriger Pause hatte ich meine zweite
Männergeschichte. Vielleicht war ich sogar etwas verliebt, aber im Vordergrund stand für mich die Anerkennung. Dieser Mann fand mich klug, schick, nett und sogar hübsch, und ich blühte richtig auf. Es war mir egal, daß er verheiratet war. Als nach zwei Jahren schließlich jeder bis zum jüngsten Büroboten von unserer Affäre wußte, erfuhr es als letzte auch seine Frau. Die Sache war an und für sich bereits am Abklingen, als der Terror losging. Nachts wurde ich vom Telefon hochgeschreckt, im Briefkasten lagen anonyme Drohbriefe, auf meinem Wagen klebten Kaugummis, und einmal hatte sie sogar eine Tube Alleskleber in die Autoschlüssellöcher gequetscht - es war mir klar, daß nur sie das gewesen sein konnte. Da er aber nachts nie bei mir blieb, verstand ich nicht, wieso sie zu Hause um vier Uhr morgens telefonieren konnte, ohne von ihm ertappt zu werden. Später bekam ich auch das zu hören: Er hatte bereits eine Neue, und dort
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