Der Hahn ist tot
Schweinwerfer und einer Taschenlampe das massive Vorhängeschloß.
»Unmöglich, das kriege ich nicht auf«, meinte Witold, »wir müssen umkehren und es in Dossenheim versuchen.«
Das war mir ein gräßlicher Gedanke, aber um dieses Schloß zu zerbrechen, war mindestens ein Vorschlaghammer nötig.
»Hast du wenigstens eine Haarnadel?« fragte Witold, und ich schüttelte schuldbewußt den Kopf. Er kehrte zum Wagen zurück.
Noch einmal leuchtete ich mit der Taschenlampe auf die Schranke. Ein leiser Schrei der Begeisterung entfuhr mir, Witold blieb stehen.
»Schau mal«, rief ich, »die Zapfen der Halterung sind durchgerostet!«
Wir untersuchten den Mechanismus erneut und stellten fest, daß man die Schranke mit etwas Kraft einfach hochheben konnte; dabei blieb das Vorhängeschloß weiterhin intakt und für andere Fahrzeuge abweisend. Witold hob die Schranke hoch, ich fuhr mit dem Wagen darunter durch, dann tauschten wir wieder die Plätze und fuhren weiter.
Es kam mir unendlich lange vor, daß wir so zwischen Kastanien, Eichen und Buchen entlangholperten. Schließlich endete der Weg vor einem mannshohen Drahtzaun.
»Verflucht, der war doch damals noch nicht da!« schimpfte Witold. Wir stiegen wieder aus. Witold stellte das Licht ab und nahm die Taschenlampe. Gemeinsam gingen wir den Zaun auf beiden Seiten ein Stück ab; er war massiv, und auf seiner Rückseite befand sich gerollter Stacheldraht.
Witold öffnete den Kofferraum des fremden Wagens und untersuchte im Schein der Lampe, die ich ihm hielt, den Inhalt des Werkzeugkastens. Er war gut bestückt, es fand sich tatsächlich eine kräftige Zange.
»Gut«, lobte Witold den Toten, »hätte ich in meinem Wagen nicht gehabt. Aber dafür hat er keine Taschenlampe.«
Er probierte etwas ungeschickt, den dicken Draht zu knacken. Es gelang zwar nicht mühelos, doch es klappte schließlich. Aber trotz abwechselndem Handhaben von mir und ihm dauerte es über eine halbe Stunde, bis wir eine Reihe Maschendraht von oben bis unten durchgeknipst hatten. Aber auch die untere Verankerung gab nicht ohne weiters nach, ein zwei Meter breites Stück mußte auch hier gekappt werden.
Als wir endlich fertig waren, nahmen wir den Toten vom Hintersitz, entfernten Plastiktüte und Badematte und setzten ihn auf den Fahrersitz ans Steuer. Witold überschüttete die Leiche, die Sitze und die Matte mit Benzin und löste die Handbremse.
»Jetzt heißt es schieben!« forderte er mich auf. Wir mühten uns gemeinsam ab, aber wir kamen nicht über einen ungeschickt liegenden großen Stein. Witold stieß den Toten ein Stück zur Mitte und klemmte sich neben ihn.
»Ich fahre ein Stückchen zurück und dann mit Schwung über den Stein«, erklärte er mir, »stell du dich an den Rand mit der Taschenlampe!«
Ich kletterte über die Stacheldrahtrolle, leuchtete und wartete. Auch mit Motorkraft gelang es nicht auf Anhieb.
»Wir waren blöde«, sagte Witold, »wir hätten das Loch ein paar Meter weiter rechts schneiden sollen, da wäre es kein Problem gewesen. Wahrscheinlich müssen wir nun noch mal mit der Zange arbeiten.«
Er stieg wieder aus. Wir waren beide erschöpft.
»Ich probier’ es noch einmal«, meinte er und drückte sich wieder neben den Toten. Ich stellte mich an den Rand des Abgrunds und gab Lichtzeichen.
Witold fuhr wieder ein Stück zurück. Mir kam es so vor, als hätten wir eine Menge Lärm gemacht, aber es war in dieser Jahreszeit unwahrscheinlich, daß ein Liebespaar oder sonst jemand mitten in der Nacht hier herumlief.
Mit Schwung kam Witold nun herangeprescht und schaffte es, den Stein zu überspringen. Aber offensichtlich kam er nicht an der rechten Stelle zum Stehen - der Wagen flog über meinen hellen Taschenlampenkreis hinaus und krachte in die Tiefe.
Hatte Witold nicht halten können, oder war es ein neuer Plan gewesen, im letzten Moment abzuspringen?
In abgrundtiefer Entfernung begann es zu knallen und zu brennen. Ich verharrte wie eine Statue und starrte hinunter. Außer dem lodernden Feuer und bunt explodierenden Päckchen konnte ich in der dunklen Wolfsschlucht nichts erkennen.
Nun war Witold auch tot. »Spring hinunter, Rosmarie!« sagte die Stimme meiner Mutter. Ich trat ganz nah an den Abgrund und beschloß, nicht lange zu fackeln. In der Ferne hörte ich eine Feuerwehrsirene, die mir die Realität der Situation zum Bewußtsein brachte. Ich mußte hier weg.
Ich lief mit der Taschenlampe in der Hand durch den dunklen Waldweg. Beim besten Willen ging
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