Der Hausflug
Tage irgendwo herumgetrieben und sich nun als Ausrede dieses phantastische Märchen ausgedacht hatte. Und es war schwer vorherzusagen, was Vater mehr kränken würde: daß sein Jonas sich herumgetrieben hatte oder daß er ihm die Hucke voll log oder daß er ihm nicht verraten wollte, was er wirklich gemacht hatte. Aber was, wenn es nicht die Wahrheit sein durfte?
Jonas hatte sich vergeblich den Kopf zerbrochen, ihm war keine glaubwürdige Lüge eingefallen. Einen Augenblick dachte er daran, seinen heimlichen Besuch bei Mutter zu gestehen, doch er ließ den Gedanken schnell wieder fallen. Vater würde sauer sein, daß er so etwas tat, ohne vorher mit ihm darüber zu sprechen – konnte Jonas denn nicht mit allem zu ihm kommen? Und was sollte er sagen, wie Mutter jetzt lebte, wie die Wohnung aussah? Das wußte Vater bestimmt besser als er, die beiden telefonierten ja miteinander.
„Scheiße!“ sagte Jonas laut. Es war wirklich teuflisch, wenn man die Wahrheit nicht sagen durfte, weil jedermann sie als faustdicke Lüge empfinden mußte.
Da tauchte ein rotes Auto zwischen den Bäumen auf, bog um die Kurve, ja, das war Vater. Jonas sprang auf, ging zur Tür.
„Xindy, dein Plan gilt!“
Jonas stellte sich an die Straße, winkte, das Auto bremste quietschend.
„Nanu, was machst du hier?“ rief Vater. „Hattest du Sehnsucht oder nur Langeweile?“
„Ich habe eine Bitte“, sagte Jonas, „können wir nicht mal kurz an die Ostsee fahren? Ich hätte solche Lust…“
„Du willst doch nicht etwa baden?“ spottete Vater. „Vor Juli bist du sonst nicht ins Wasser zu kriegen. Die Ostsee wird eiskalt sein, außerdem wird es bald dunkel.“
„Trotzdem“, sagte Jonas, „bitte, ja?“
„Na gut. Weiß Oma Bescheid?“
Jonas nickte nur. Es fiel ihm schwer, Vater zu belügen, auch wenn der sich morgen nicht mehr daran erinnern konnte. Deshalb blieb er wortkarg, während sie weiterfuhren. Zum Glück verlangten die engen Straßen Vaters ganze Aufmerksamkeit. Vater nahm den kürzesten Weg zur See, wie es Jonas vorhergesehen hatte, fuhr zum Erldorfer Strand, den er so liebte, weil dort noch immer nichts als Meer und Strand, Düne und Wald zu sehen waren. Ihr Auto wirkte ziemlich verloren auf dem leeren Parkplatz, und auf dem Weg durch den Waldstreifen trafen sie keine Menschenseele. Als sie das Rauschen des Meeres durch die Bäume vernahmen, legte Vater den Arm um seine Schultern.
„Das war eine gute Idee“, rief er vergnügt. „Ach was, gut – außerordentlich, hervorragend, einmalig.“ Er blieb stehen, sog schnuppernd die Luft ein.
„Welch wunderbarer Duft“, erklärte er, „welch ein Aroma! Wer ist der erste am Strand?“ Er hetzte los, am Waldrand blieb er wie vom Blitz getroffen stehen.
„Das kann doch nicht wahr sein!“ Vater zeigte empört auf das Haus, das oben auf der Düne stand. „Die Leute haben wohl noch nie etwas von Umweltschutz gehört?“
„Bestimmt hat man dort einen prima Blick auf das Meer“, meinte Jonas.
„Na, wenn schon! Das Haus gefährdet die Düne. Bei der nächsten Sturmflut kann die See hier durchbrechen und den ganzen Strand wegreißen. Aber diese Mordsschweinerei laß ich nicht durchgehen. Wir werden mal nachsehen, wem das Haus gehört, und morgen schreibe ich einen gepfefferten Brief an das Ministerium. Komm.“ Er winkte Jonas. „Hast du Angst?“
Angst nicht, dachte Jonas, aber ein schlechtes Gewissen. Als wollte er Vater sonstwas antun.
„Ich muß dir was sagen“, erklärte er, „ich…“
„Später.“ Vater stürzte die Düne hinauf zum Haus. „Hallo, hallo“, rief er in die offene Tür.
„Scheint niemand da zu sein“, sagte er. „Na, weit können die Leute ja nicht sein. Wir warten.“
Er trat in den Hausflur und setzte sich in den Schaukelstuhl, keine Minute später war er eingeschlafen. Xindy kam die Treppe herab. Wenn Vater nun aufwachte und die silberne Rieseneidechse sah?
„Keine Angst, er ist schon im Tiefschlaf“, beruhigte ihn Xindy. Er hielt Jonas den Gitterhelm hin, mit dem er schon seine Erinnerungen aufgezeichnet hatte. „Hilfst du mir mal?“
„Nein“, sagte Jonas. „Schlimm genug, was ich mit Vater anstelle, da möchte ich nicht auch noch Handlanger sein.“ Er wollte nicht zusehen, wie Xindy Vater den Helm aufsetzte und ihn an seine Geräte anschloß. Er ging pinkeln, dann wusch er sich lange die Hände, bürstete jeden Finger sorgfältig. Xindy erwartete ihn im Flur.
„Ich habe deinen Vater aufs Bett gelegt“, sagte er,
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