Der Heiler
ich.
»Ich erinnere mich«, sagte er und fügte deutlich betonter hinzu: »dunkel.«
»Meine Frau ist verschwunden.«
»Daran erinnere ich mich nicht.«
»Sie ist auch nie hier gewesen«, sagte ich.
Der Barmann sah mich jetzt an wie vermutlich jeden seiner Gäste. Er wusste gut, dass man sich mit Betrunkenen auf kein Gespräch einlassen sollte, das über die Bierbestellung hinausging. Sein Gesicht bekam einen vollkommen neutralen, verschlossenen Ausdruck: Diese Unterhaltung war, was ihn betraf, beendet. Er wandte sich bereits ab, als ich die Hand hob.
»Warte«, sagte ich und brachte ihn dazu, sich wieder umzudrehen. »Ich suche nicht nur meine Frau, sondern noch jemanden, einen Mann.«
Ich öffnete Pasi Tarkiainens Foto auf dem Display meines Handys, vergröÃerte es und reichte es dem Barmann hinüber. In seiner Pranke schrumpfte das Handy auf die GröÃe einer Streichholzschachtel zusammen.
»Hast du den schon mal hier gesehen?«, fragte ich.
Er blickte auf und gab mir das Handy zurück. Seine Mundwinkel hatten sich leicht gehoben und die Augen eine Spur geöffnet. »Nie«, sagte er. Gleichzeitig huschte über sein Gesicht die Andeutung einer vom Neutralen abweichenden Miene.
Ich fixierte ihn eine Weile und versuchte die eben gesehene Regung auf sein Gesicht zurückzuholen.
»Er hat früher gleich nebenan gewohnt«, sagte ich. »Vermutlich war er öfter hier.«
Der Barmann schwenkte seinen muskulösen Arm in meine Richtung, bis er meine Nase mit dem Zeigefinger berührte. »Wer wirklich sehr oft hier war, das warst du, aber ich erinnere mich nur an das eine Mal vor vielen Jahren, als wir dich zum Taxi tragen mussten.«
Ich stellte mein leeres Glas auf den Tresen und beschmierte mir dabei wieder die Hand. »Danke dafür«, sagte ich und suchte mit den Blicken den ganzen Tresen nach etwas ab, an dem ich mir die Hand abwischen konnte. Ich sah nichts, das von Nutzen gewesen wäre, so dass ich die Hand in ihrem Zustand lieÃ.
Ich blickte auf das Foto und zeigte es noch einmal dem Barmann. Er sah gar nicht hin. Aber jetzt wirkte die Reglosigkeit seines Blickes angestrengt und nicht mehr so lässig und cool wie zu Beginn unseres Gesprächs.
»Wusstest du, dass der Typ tot ist?«
Er zuckte mit den Schultern. Es sah aus wie das Heben und Senken einer Mauer. »Willst du noch was zu trinken? Wenn nicht, dann bediene ich jetzt die, die etwas wollen.«
»Der Typ ist vor fünf Jahren gestorben«, sagte ich, »während der Grippewelle.«
»Damals sind viele gestorben.«
»Stimmt«, sagte ich. »Und ziemlich wenige erwachten danach wieder zum Leben.«
Seine Hände verharrten in der Luft. Er stellte die Rotweinflasche in seiner Rechten und das Glas in seiner Linken vor sich ab.
»Wie wärâs mit Hausverbot?«, fragte er.
»Ich habe ein einziges Glas getrunken«, sagte ich. »Das scheint dich sehr gestört zu haben. Oder gibt es das Hausverbot dafür, dass der hier vor fünf Jahren an der Grippe gestorben ist?« Ich zeigte ihm erneut Tarkiainens Foto, und er machte sich auch diesmal nicht die Mühe, hinzusehen.
»Wie heiÃt du? Nein, du brauchst es gar nicht zu sagen, ich kriege es sowieso raus.« Er richtete sich auf, blähte noch extra den Bizeps und zeigte seine Schultern in ihrer ganzen Breite. Wer auch immer sich den Begriff Muskelprotz ausgedacht hatte, musste ihn vor Augen gehabt haben.
»Warum willst du meinen Namen wissen?«, fragte ich.
Er beugte sich nach vorn, behielt das Kinn aber fast auf der Brust. Sein Blick kam von unten her, die Wangen mit ihren Dellen blieben vollkommen im Schatten. »Damit ich weiÃ, wer Hausverbot hat, und ich den Mitarbeitern sagen kann, dass dieser Typ hier keinen Zutritt hat.«
»Erzählst du dasselbe auch Pasi Tarkiainen?«
Er machte ein Zeichen zur Tür hin. Ein ungeheuer groÃes Muskelpaket, dessen Glatze hell und fleischig rosa schimmerte wie roher Lachs, näherte sich.
»Man sieht sich«, sagte ich lässig zum Barmann.
Ich ging auf das Muskelpaket und die Tür zu, roch das beiÃende Rasierwasser schon aus mehreren Metern Entfernung und machte mich darauf gefasst, dass er mich an irgendÂeiner Stelle meines Körpers packen würde. Er schielte zum Barmann, trat beiseite und lieà mich ziehen. Ich schaute nicht zurück, als ich auf die StraÃe kam und zum
Weitere Kostenlose Bücher