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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antti Tuomainen
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Johannas zarte Hand auf meinem Gesicht oder ihre warmen, vollen und fast trockenen Lippen an meiner Schläfe zu spüren.
    Ich saß erschöpft auf der Rückbank des Taxis, starrte ins Dunkle und fühlte mich schrecklich mit meinen Gedanken. Hamid wollte wissen, wohin die Fahrt gehen sollte. Erst mal nirgendwohin, sagte ich. Ich brauchte eine kleine Atempause. So standen wir denn im nächtlichen Pasila am Straßenrand, und Hamid drehte abwechselnd das Gebläse hoch und runter. Das Gleichgewicht zu finden, war selbst in diesem Fall eine schwierige Aufgabe.
    Der Regen war jetzt so leicht und weich, dass man ihn zunächst nicht als kalten Winterregen empfand, sondern erst später, wenn man völlig durchnässt war und vor Kälte zitterte. Die digitale Uhr am Armaturenbrett zeigte halb drei. Hamid bewegte die Lippen im Takt der gedämpften Musik, sah im Rückspiegel nach mir, spielte mit seinem Handy und langweilte sich sichtlich. Ich öffnete im Display meines Handys die Karte, die Johanna angefertigt hatte. Aufgelistet waren die Stadtteile:
    Tapiola, Lauttasaari, Kamppi, Kulosaari.
    Tuomarinkylä, Pakila, Kumpula, Töölö, Punavuori.
    In der Ausdehnung West-Ost/Nord-Süd.
    Ich googelte Pasi Tarkiainen, aber alles, was ich fand, war älter als fünf Jahre. Er hatte an mindestens vier verschiedenen Ort gewohnt, nämlich in den Stadteilen Kallio, Töölö, Tapiola und Munkkiniemi. Gearbeitet hatte er in Arztpraxen in Töölö, Eira und unmittelbar im Zentrum, in der Kaivokatu.
    Ich erinnerte mich an Jaatinens Worte, sah mir die Lis­ten ein zweites Mal an. Töölö tauchte in jeder auf.
    Ich fand Tarkiainen auch per Bildsuche. Das Foto war zehn Jahre alt. Der junge Pasi Tarkiainen sah nicht aus wie ein Mörder, sondern wie ein fröhlicher, heiterer und optimistischer Medizinstudent. Sein Lachen war so ansteckend, dass ich es fast erwiderte. Betrachtete man das Foto genauer, sah man jedoch auch etwas anderes. Die Augen hinter den Brillengläsern wirkten eine Spur anders als die Grübchen in den vor Gesundheit strotzenden Wangen. Sie waren älter als das Gesicht, zu dem sie gehörten, blickten ernst, sogar besorgt. Tarkiainens blondes Haar war kurz, der mit Gel geformte Pony reichte bis zur halben Stirn. Trotz seines breiten Lächelns wirkte er wie ein Mann, der die Dinge ziemlich ernst nahm.
    Ich ließ das Handy in den Schoß sinken, lehnte den Kopf an die Nackenstütze und war im Nu woanders. Das Schließen der Augen war wie eine Zeitmaschine, innerhalb einer Sekunde gelangte man, wohin man wollte, vorwärts und rückwärts.
    Johanna.
    Immer und überall.
    Ich öffnete die Augen und befand mich wieder in dem von Regen umgebenen Taxi zusammen mit einem nord­afrikanischen Fahrer.
    Ich gab Hamid eine Adresse, und er fuhr erleichtert los. Wir kamen auf die Straße am Tierpark. Die Fenster des von Soldaten bewachten Aurora-Krankenhauses reflektierten das Scheinwerferlicht und sahen aus wie lange Reihen von Spiegeln. Soldaten waren vor allem um die Klinik für Infektionskrankheiten postiert. Gerüchte besagten, dass die Soldaten hauptsächlich eine Aufgabe hatten: aufzupassen, dass Besucher draußen und die Patienten drinnen blieben. Dieselben Gerüchte sprachen von Ebola, Pest sowie von multiresistenter Diphtherie, Tuberkulose und Malaria. Der nachtdunkle Zentralpark hinter der Klinik wirkte wie eine schwarze Mauer. Über die Anzahl der Menschen, die dort ständig oder vorübergehend wohnten, gab es nur Schätzungen. Die am häufigsten genannte Summe lautete zehntausend, und niemand hatte eine bessere zu bieten.
    Wir fuhren hinauf zur Eishalle, vor der nachts Hunderte von Menschen herumschwärmten und allabendlich Quartier bezogen, aus der Notunterkunft war eine ständige Bleibe geworden.
    An der Kreuzung zur Mannerheimintie stand eine dunk­le Straßenbahn. Sie stand da wie ein großes Ver­gessen, so als hätte jemand einfach aus Versehen seine Straßenbahn dort abgestellt und wäre weggegangen. ­Hamid drosselte das Tempo, fuhr um die Bahn herum und dann weiter nach Töölö.
    Innerhalb weniger Minuten waren wir in der Museokatu, Pasi Tarkiainen hatte in der Nummer 24 gewohnt, und der Manager der Firma für Plastikverpackungen und seine fünfköpfige Familie waren in der Vänrikki Stoolin katu 3 ermordet worden. Von Tarkiainens früherer Haustür bis zum Tatort

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