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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antti Tuomainen
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waren es hundert Meter.
    Ich sagte Hamid nicht, warum wir in dieser Straße parkten, ich wusste es ja selbst nicht.
    Ich stieg aus, ging zur Nummer 24 und blickte hinüber zur Vänrikki Stoolin katu. Den Regen spürte ich erst weich auf meinem Gesicht und gleich darauf als harte, eisige Tropfen, die mir in den Kragen liefen. Ich betrachtete die nächtliche, nasse Straße, ließ den Blick schweifen, sah aber nichts, was auf einen Massenmörder oder meine verschwundene Frau hingedeutet hätte.
    Als Nächstes ging ich hinüber zur Vänrikki Stoolin katu 3 und blickte in die entgegengesetzte Richtung. Die meisten Wohnungen in der Museokatu 24 hatten direkte Sicht auf den Platz, an dem ich stand. Allerdings war die Front des Hauses dunkel mit Ausnahme der obersten Etage, in der ich sechs beleuchtete Fenster nebeneinander zählte.
    Als ich wieder beim Taxi ankam und einsteigen wollte, entdeckte ich in einiger Entfernung eine grüngelbe Leuchtreklame. Wieso hatte ich nicht daran gedacht?
    Ich bat Hamid zu warten und lief dann die hundert Meter mit hochgezogenen Schultern und den Händen in den Taschen, so als würde mich das vor dem Nasswerden schützen. Beim Laufen überfluteten mich Erinnerungen, sie kamen in willkürlicher Reihenfolge, ohne Rücksicht auf das jeweilige Jahr und den Charakter des Ereignisses. Sie waren unwillkommene Gäste, unerwünscht.
    Es gibt Dinge, die sich über die Jahre nicht ändern und kein bisschen besser werden. Die Kneipe hatte dieselbe Atmosphäre und dasselbe Aussehen wie vor zehn und fünfzehn Jahren. Die lange Bar stand direkt vor mir, als ich die vier Stufen von der Straße hinaufgestiegen war. Rechts im Raum standen drei Tische, links im größeren Saal etwa zehn. Hinter der Bar befand sich eine Öffnung, durch die man ins Hinterzimmer sehen konnte, das noch ein paar zusätzliche Tische enthielt. Die volle Kneipe vibrierte unter dem Zusammenwirken von Musik und Geschrei.
    Es war nervenaufreibend, durch die Menschenmauer zur Bar vorzudringen, genauso wie ein Bier zu bestellen. Ein Halbliterkrug wurde mir hingeknallt, ich bezahlte und hielt Ausschau nach Bekannten. Die Kellner, die hinter dem Tresen hin und her rannten, kannte ich nicht, ebenfalls nicht den neben mir aufgetauchten fusselbärtigen und bei näherem Hinsehen verblüffend jung wirkenden Säufer, der mich um Geld anpumpte.
    Ich hatte diese Kneipe zeitweise allzu häufig besucht. Sie hatte auf meinem Weg gelegen, als ich in dieser Gegend wohnte. Es war die Zeit vor Johanna, es war keine gute Zeit gewesen.
    Die meisten Tischrunden hatten bereits den Punkt erreicht, an dem ein Gespräch unmöglich war. Jeder lallte nur noch unartikuliert, lehnte sich an den Nachbarn und konzentrierte sich darauf, weiterzutrinken. Ich erkannte niemanden im Saal und ging ins Hinterzimmer.
    Dort war die Luft noch schlechter als in den beiden vorderen Räumen. Schnapsgeruch und der beißende Gestank von Urin konkurrierten um die Vorherrschaft. An den Tischen saßen wildfremde Leute, und ich wollte schon kehrtmachen, als ich hinten im Raum eine halboffene Tür und durch den schmalen Spalt ein bekanntes Gesicht sah. Ich kannte den breitschultrigen Barmann von früher. Er beendete soeben das Stapeln von Kartons, nahm den obersten auf den Arm, kam aus dem Kabuff heraus und drückte mit dem Ellenbogen die Tür hinter sich zu. Er entdeckte mich. Ich grüßte fröhlich und hoffte gleichzeitig, dass mir sein Name einfiele. Das war jedoch nicht der Fall, und der Gruß fiel kurz aus. Der Mann ging mit dem Wodkakarton unter dem Arm nach vorn zur Bar.
    Ich bahnte mir den Weg dorthin und ergatterte einen Platz unmittelbar am Tresen, stellte meinen Humpen auf die Glasplatte und beschmierte mir dabei die Hand mit etwas Dunklem, Klebrigem. Ich grüßte den Barmann erneut. Er wurde auf mich aufmerksam, kam näher und baute sich vor mir auf. In den zehn Jahren hatte er sich kaum verändert, nur sein Gesicht war kantiger geworden, und um den Mund herum hatten sich tiefe Furchen gebildet. Die Augen waren trübe und blickten skeptischer, wie es mit zunehmendem Alter manchmal geschah. Aber der Pferdeschwanz war immer noch da, die Schultern waren sogar noch breiter und der Bart bedeckte immer noch wie ein dunkler unsauberer Teppich das Kinn, so wie einst vor langer Zeit.
    Ich zog das Handy aus der Hosentasche. »Ich war früher manchmal hier«, sagte

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