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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antti Tuomainen
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dass ich in diesem Zusammenhang den Konservatismus als Realismus, als Anerkennung der Tatsachen betrachte. Und deine Informationen stimmen insofern, als ich in jungen Jahren Idealist war. Was das andere betrifft, kannst du mich gern am Arsch lecken.«
    Ich nickte und fragte mit weicher Stimme: »War Tarkiainen in seiner Jugend auch Idealist? Und ist er heute ein genauso zynisches Arschloch wie du?«
    Lassi hatte sein überhebliches Lächeln wiedergefunden und benutzte es. »Pasi Tarkiainen ist vor Jahren gestorben. Entweder als Idealist oder als zynisches Arschloch. Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht. Was hat er überhaupt damit zu tun?«
    Â»Möglicherweise eine ganze Menge. Und du hast schon wieder gelogen. Seit wann weißt du, dass Tarkiainen nicht tot ist?«
    Lassis Grinsen entgleiste ein wenig. Er kratzte sich die Nasenwurzel. Vielleicht wirkte er sogar eine Spur besorgt. »Ist das eine Fangfrage?«
    Â»Nein«, sagte ich, »das ist eine direkte Frage, die mit Johanna zu tun hat. Und damit, dass du dich sträubst, nach ihr zu suchen, und dass du absolut nicht daran interessiert bist, eine Story zu machen, die dir garantiert Leser bescheren würde. Stell dir das vor: brutal ermordete Familien, eine verschwundene attraktive Journa­listin und eine überforderte Polizei. Geradezu aus dem ABC der Medienwirksamkeit. Wirst du von Tarkiainen erpresst?«
    Lassi lachte, aber diesmal überraschend kraftlos. Er antwortete nicht und sah mir nicht in die Augen.
    Â»Letzte Frage«, sagte ich. »Kommen wir wieder zu meiner Anfangsfrage: Warum können wir uns nicht bei dir im Verlag treffen?«

    12 Johanna war beruflich unterwegs, als wir uns zum ersten Mal begegneten. Sie machte damals eine Reportage über Bibliotheksschließungen, und ich war ein Nutzer, den sie interviewte.
    Â»Bist du öfter hier in der Bibliothek?«, fragte sie, als wir in der Eingangshalle standen. Sie merkte selbst, wie verfänglich ihre Frage klang.
    Ich nutzte die Gelegenheit und fragte meinerseits: »Kennen wir uns nicht irgendwoher?«
    Johanna errötete in der für sie typischen Art, hauchzart und nur für einen flüchtigen Moment. Sie notierte meine Antworten auf ihrem Block, bedankte sich am Ende des Gesprächs und wollte sich schon abwenden, als ich sie fragte, wie oft sie selbst in die Bibliothek kam.
    Sie lächelte ein wenig, als sie sich wieder zu mir umdrehte.
    Â»Zwei Mal in der Woche«, sagte sie.
    In diesem Moment fielen mir ihre Augen auf. In ihnen sammelte sich das ganze Licht der Sonne, die gerade draußen vor den hohen Fenstern unterging. Es war, als würde alles Licht der dämmerigen, bald dunkel werdenden Welt aus den Augen dieser jungen Journalistin leuchten.
    Â»Was liest du denn so?«, fragte ich.
    Sie überlegte kurz. »Hauptsächlich Sachbücher«, sagte sie und schien sich um eine ehrliche Antwort zu bemühen. »Alles, was mit der Arbeit zusammenhängt, direkt und indirekt.«
    Â»Geschichte?«
    Â»Manchmal.«
    Â»Belletristik?«
    Â»Manchmal.«
    Â»Gedichte?«
    Â»So gut wie nie.«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Es ist mühsam. Besonders die neuere Lyrik. Absichtlich schwer verständlich geschrieben. Wer will schon so etwas lesen wie ›an der Seite des Fohlens galoppiert das Herzblut durch den ewigen Mondschein, und das zarte Taschentuch der Hufe streift über die Lakritzstirn‹, und dann noch so tun, als würde ihm das was geben.«
    Â»Okay«, sagte ich. »Erinnerst du dich, welche Autoren oder Lyrikbände du gelesen hast?«
    Sie sah mich mit ihren wunderbaren Augen an, nannte ein paar Gedichtbände und schüttelte den Kopf. Ich stimmte ihr zu, was die Verständlichkeit mancher Lyriker anging. Aber Gedichte hätten auch ihr Gutes, und ich wisse sogar einige großartige Bände, die sie sicher dazu bringen würden, ihre Meinung zu ändern oder zumindest festzustellen, dass es von Autor zu Autor Unterschiede gebe.
    Â»Liest du die denn?«, fragte Johanna ein wenig ungläubig.
    Â»Ja, ich lese die«, sagte ich und betonte dabei das letzte Wort.
    Wir lächelten uns eine Weile an, das Licht tanzte in ­ihren Augen.
    Â»Du kannst mir sicherlich ein Buch empfehlen, das mich dazu bringt, meine Meinung zu ändern.«
    Â»Vielleicht«, erwiderte ich.
    Sie folgte mir in die Lyrikabteilung, ich spürte ihren Blick im Nacken. Das

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