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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antti Tuomainen
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Gefühl war nicht unangenehm. Ich stellte mir vor, wie das blaugrüne Licht aus ihren Augen wie ein Regenbogen auf mich strahlte.
    Wir kamen ans Lyrikregal, ich nahm einige Werke finnischer Dichter und schob zuletzt mein eigenes unter den Stapel. Johanna trat zu mir und lauschte – wenn nicht interessiert, so doch zumindest interessiert wirkend –, wie ich von den Eigenheiten eines jeden Verfassers erzählte und jeweils eines seiner Gedichte vorlas, um meine Aussage von der Verständlichkeit und der Klarheit der Sprache zu untermauern.
    Johanna trug an diesem Tag weitgeschnittene Jeans, einen schwarzen Rollkragenpullover und Schnürstiefel. Und als wir da so nahe beieinanderstanden, spürte ich unwillkürlich den Duft ihres Haares und die Wärme ihres Körpers.
    Dann schlug ich das unterste Buch meines Stapels auf und las ein Gedicht vor. Als ich fertig war, sah ich Johanna an. Sie war nicht ganz so beeindruckt, wie ich gehofft hatte.
    Â»Ich weiß nicht recht«, sagte sie.
    Â»Soll ich noch eines lesen?«
    Â»Ja, okay.«
    Ich trug ein weiteres Gedicht vor.
    Â»Du kannst es auswendig«, sagte sie. »Du hast gar nicht ins Buch geschaut.«
    Sie nahm mir das Buch aus der Hand, schlug es auf, sah auf dem Umschlag mein Foto und blickte auf. »Raffiniert«, sagte sie und lächelte.

    13 Ich stand eine Weile auf dem Bürgersteig der ­Lutherinkatu und sah zu, wie die Rücklichter von Hamids Taxi im Nebel verschwanden.
    Auf der kurzen Fahrt vom Bahnhof zum Temppeliaukio war mir klargeworden, dass wir letztlich alle miteinander verbunden waren. Johanna, Pasi Tarkiainen, Lassi Uutela, Laura Vuola, Harri Jaatinen und ich. Sogar Frau Bonsdorff und Hamid. Ganz zu schweigen von Ahti und Elina Kallio. Wir liefen, zerrten und keuchten jeder in seine Richtung, und je mehr wir uns abstrampelten, ­desto näher kamen wir den anderen.
    Elina öffnete die Tür. Sie begrüßte mich, lächelte freundlich und sah mich dann aber sofort fragend an. Ich musterte mich kurz im Flurspiegel und verstand den Grund. Meine Augen funkelten zornig, wenn nicht sogar wütend. Ich wollte mich nicht erklären, hätte es vermutlich auch gar nicht gekonnt. Jedenfalls noch nicht. Ich sagte ihr, dass ich mit Ahti sprechen wollte.
    Â»Ahti schläft.«
    Â»Weck ihn.«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Weck ihn.«
    Elina sah mich zunächst erstaunt, dann sichtlich ver­ärgert an. Schließlich ging sie kopfschüttelnd ins Schlafzimmer.
    Alles, was ich im Wohnzimmer sah, war mir mehr als vertraut. Ahtis und Elinas Bücherregal kannte ich auswendig. Die Buchrücken und ihre Reihenfolge hatten sich an all den Abenden, die wir alle zusammen in diesem Raum verbracht hatten, in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich wusste auch ohne Probesitzen, wie tief und weich der robuste schwarze Sessel vor dem Regal und wie hell die hohe Stehlampe aus Edelstahl war. Und von einem gemeinsamen Abend bis tief in die Nacht wusste ich, dass Kerzen und Kerzenhalter in der dunkelbraunen antiken Truhe lagen, die neben dem Sessel stand. Auf ihrem ­Deckel lag ein aufgeschlagenes Buch mit den Seiten nach unten, so wie sonst auch.
    Obwohl mir alles vertraut war, betrachtete ich das Zimmer jetzt, als sähe ich es zum ersten Mal, und horchte auf die Geräusche aus dem Schlafzimmer. Eins hatte ich verstanden: Uns überrascht nicht das, was uns von vornherein fremd ist, sondern vielmehr das, was wir zu kennen glaubten, bis wir auf einmal das Gegenteil feststellen.
    Â»Ahti kommt gleich«, sagte Elina hinter meinem Rücken.
    Â»Danke.«
    Â»Ich verstehe dich nicht.«
    Â»Ich hätte es auch fast nicht verstanden«, sagte ich.
    Wir setzten uns jeder in eine Ecke des Sofas und ließen dabei wie abgesprochen ein ganzes Sitzpolster zwischen uns frei.
    Â»Du bist nicht du selbst.«
    Ich antwortete nicht, sondern konzentrierte mich auf meine Gedanken.
    Â»Tapani«, sagte Elina leise und beugte sich zu mir. »Du hast das, was ich erzählt habe, bestimmt falsch ver­standen. Über die damaligen Ereignisse. Über Pasi Tarkiainen.«
    Â»Ich glaube, ich habe es vollkommen richtig verstanden.«
    Elina zögerte. »Ich hoffe, dass du Ahti nicht alle Einzelheiten berichtest.«
    Ich sah sie an und wollte sagen, dass das kaum nötig sein würde, kam aber nicht mehr dazu. Ahti trat ein.
    Â»Hei Tapani.«
    Er sah aus als hätte er in den letzten

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