Der Heiler
wollte er das Fenster eindrücken.
»Absolut nicht«, sagte Lassi und lehnte sich noch weiter auf seinem Stuhl zurück. »Wir leben in ziemlich schwierigen Zeiten. In vielerlei Hinsicht. Aber eines ist wohl inzwischen klar. Eine Wahrheit, die von ein paar Journalisten wie Johanna gesucht wird, existiert einfach nicht mehr. Es gibt nichts, worauf sich diese Wahrheit stützen, begründen, woraus sie wachsen würde. Ich könnte lang und breit über das Ende der Geschichte, den Verfall der Werte und die allgemeine Sexualisierung reden. Aber all das weiÃt du und sämtliche anderen bierernsten Leute besser. Wie dem auch sei, wir versuchen eine Zeitung zu machen. Wir haben Seiten, die wir füllen müssen, mit Fotos, die nach Nachrichten aussehen, und mit Texten, die die Leute interessieren. Und was interessiert sie? Heute eine Sängerin und ihr Pferd. Morgen, wenn es nach uns ginge, wie eine Prominente Ladendiebstahl begeht und sich entblöÃt. Wir haben Fotos einer Ãberwa chungskamera, fast Nahaufnahmen, auf denen sich diese Frau einen Tonträger in den Slip steckt und dabei fast alles zeigt.«
»Gratuliere«, sagte ich.
»Kannst du dir deinen Sarkasmus leisten?«, fragte Lassi. »Du bist ein Dichter, dessen populärstes Buch sich weniger als zweihundert Mal verkauft hat. Wir verkaufen täglich mindestens zweihunderttausend Ausgaben.«
»Du bist erleichtert, dass Johanna verschwunden ist.«
»Erleichtert ist das falsche Wort«, Lassi schüttelte erneut den Kopf.
»Das ist noch nicht alles«, sagte ich.
»Natürlich nicht.« Lassi lachte, und dieses Lachen war jetzt offenkundig überheblich. Er sah mich amüsiert an. »Du kannst dir ausmalen, was du willst. Schreib einen neuen Gedichtband, pack alle noch so wilden Phantasien mit hinein.«
Ich beugte mich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Ich weiÃ, dass du ein Freund von Pasi Tarkiainen bist. Zumindest ein ehemaliger.«
Das saÃ. Lassis antrainierte zynische Miene bekam einen Riss. Ein kurzer Ausdruck von Unsicherheit zeigte sich, ehe sich die Fassade über dem Riss rasch wieder schloss. Im Stillen dankte ich Kommissar Jaatinen für seine Informationen.
Lassi musterte mich eine Weile, ehe er sprach. »Ein ehemaliger.«
»Ihr habt in derselben Unihockeymannschaft gespielt«, sagte ich.
»Ich bin einerseits erstaunt darüber, dass ein Märchenonkel wie du so etwas herausfindet, aber andererseits bin ich auch ziemlich genervt. WeiÃt du warum?«
Ich schüttelte den Kopf und legte die Hände auf den Tisch.
»Auch wenn ich es versuche«, fuhr Lassi fort, »sehe ich darin überhaupt keine Information. Was ist schon dabei, wenn ich mit einem Wie-hieÃ-er-noch-gleich zusammen Floorball gespielt habe?«
»Du erinnerst dich nicht mal an seinen Namen? Obwohl du extra betont hast, dass du ein ehemaliger Freund von ihm bist?«
Lassi seufzte, er verbarg sich wieder hinter seiner Rolle des müden, angeödeten Zeitungsmannes und Vorgesetzten und faltete die Hände vor der Brust.
»Pasi Tarkiainen war dein Freund, euch haben die gemeinsamen radikalen Aktionen verbunden«, sagte ich. »Die Unihockey-Geschichte habe ich zufällig herausÂgefunden, als ich dich und ihn zusammen in die Bildsuche eingab. Von anderen Quellen weià ich, dass du Mitglied in einer der radikalsten Klimabewegungen warst. Und als ihr Freunde wurdet, hat sich auch Tarkiainen dieser Bewegung angeschlossen, stimmtâs? Ihr wart jung, und in dem Alter glaubt man, dass man die Dinge durch eine Bombenexplosion ändern kann. Bildlich und wörtlich.«
Lassi sah mich an, das Gesicht wie verschlossen von einem Grundausdruck, hinter dem man fühlen und denken kann, was man will.
Ich fuhr fort: »Und als vor fünfzehn Jahren im Hauptsitz von Fortum eine Bombe hochging, wurdest du verhört. Neben Tarkiainen. Keiner von euch wurde angezeigt, weil man euch nichts nachweisen konnte. Trotzdem willst du es tunlichst verhindern, dass deine Vorgesetzten davon erfahren. In deiner Vita steht nichts von einem Bombenanschlag auf Fortum .«
Lassi lieà den Blick zum Fenster schweifen, ehe er sprach. »Irgendjemand hat mal gesagt, dass man nicht gelebt hat, wenn man in seiner Jugend nicht Idealist gewesen ist, dass man aber auch nichts aus seinem Leben gelernt hat, wenn man im Alter nicht konservativ geworden ist. Dem sei hinzugefügt,
Weitere Kostenlose Bücher