Der heilige Erwin
haben wir hier nicht« … und legt auf.
Zweiter Versuch. Diesmal ist ein Kind am Apparat. »Hallo, meine Kleine. Hier ist der liebe Gott. Sind deine Eltern zu Hause?« – »Ja, Mama ist in der Küche.« – »Kannst du sie bitte ans Telefon holen?« – »…« – »Na, wird’s bald?« – »Machst du mir zu Weihnachten ein Pferd?« – »Wie bitte?!« – »Du bist doch der liebe Gott. Mach mir ein Pferd!« – »Hör mal, sei jetzt bitte ein braves Mädchen und hol deine Mami ans Telefon!« – »Es soll ganz rosa sein und Cindy heißen, und nachts soll es in meinem Bett schlafen!« – »Ich will, dass du jetzt endlich deine Mutter an den Apparat holst!!« Heftiges Schluchzen am anderen Ende. Im Hintergrund hört Er eine Stimme: »Nadine! Kann man nicht einen Moment seine Ruhe haben?« – »Mamaaaa! Der liebe Gott ist am Telefon und macht mir kein Pferd!« Gott vernimmt ein klatschendes Geräusch, das Kind weint lauter. Die Mutter schreit: »Ich habe dir tausendmal gesagt, du sollst nicht allein ans Telefon gehen. Warte nur, bis der Papa nach Hause kommt!« Dann ist die Frau selbst am Apparat, aber Gott hat genug gehört und verabschiedet sich mit einem Klicken in der Leitung.
Das ist schwieriger, als Er erwartet hat. Gott atmet tief durch und versucht es noch einmal. Ein Mann hebt ab, und Er stellt sich seinem Gesprächspartner vor. »Gott? Wirklich wahr? Der echteGott? Der einzige –« –»Jajaja, genau der. Dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen?« – »O mein Gott! Äh, ich … Ogottogott!« – »Es ist nämlich so, ich arbeite gerade an einem Projekt über die Lage der Mensch …« – »Vergib mir, Herr, denn ich habe gesündigt!« – »Hä?« – »Bitte verzeih mir, Herr! Ich tue es auch nie wieder!!« – »Hören Sie auf, Mann! Beruhigen Sie sich doch! Ich möchte einfach nur wissen, wie es Ihnen so geht, als Mensch, auf Erden …« Aber der andere wimmert nur noch unverständliches Zeug, und Gott wird es zu bunt. Er bricht den Kontakt ab und lässt sich ermattet in den Sessel zurücksinken. Na dann eben nicht!, denkt Er ärgerlich und reibt sich die Schläfen. Sollen sie doch selber zusehen, wie sie da unten zurechtkommen! Und Er beschließt, nie wieder mit den Menschen in Verbindung zu treten.
Wenig später begegnet Gott dem Heiligen Geist, der wie immer außer Atem ist. »Ich komme gerade zurück vom Planeten Xyphüs und muss gleich los zur Besprechung mit den Krosspisianern«, ruft er. Schon will er vorbeieilen, da hält er einen Augenblick inne: »Apropos: Wie läuft’s denn so mit dem ›Projekt Erde‹?« Gott senkt peinlich berührt den Blick. »Ach, die Erde …«, Er zögert einen Moment, ehe Er fortfährt: »Sehr gut! Ich habe schon einiges herausgefunden. Morgen früh werde ich mich auf den Weg machen, um meine bisherigen Erkenntnisse vor Ort zu vertiefen.« Der Heilige Geist nickt ihm zu und hastet weiter. Gott ärgert sich über seine eigene Geschwätzigkeit. Aber Er darf ja nicht lügen, und gesagt ist gesagt. Nun bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Reise vorzubereiten, seinem Sohn die Amtsgeschäfte zu übertragen, die nächsten Chorproben der Engel abzusagen und zur Erde hinabzufahren.
3
E s ist ein trister Dezembertag, Regen und Schauer wechseln einander ab, und ein eisiger Wind fegt über das Land. Am besten bleibt man heute zu Hause. Das denkt sich auch Gott, der, noch leicht benommen von der weiten Reise, über Deutschland schwebt. Er kann sich nicht entscheiden, an welchem Ort Er sich niederlassen soll. Stadt oder Land? Küste oder Gebirge?
Zum wiederholten Male zieht Er unentschlossen seine Kreise, da gewahrt Er plötzlich zwei nebeneinander stehende Kirchtürme, deren Spitzen durch die Nebelschwaden stechen. »Sieht aus wie die überdimensionalen Ohren eines Esels«, denkt Gott belustigt. Kurz entschlossen lässt Er sich auf die Türme herabsinken und stellt fest, dass das Gebäude, das seine Aufmerksamkeit erregt hat, der Kölner Dom ist.
Gott hat sich alles genau überlegt: Er wird sich eines menschlichen Körpers bemächtigen, um inkognito, als Mensch unter Menschen, umherwandeln zu können. Dann wird Er Kontakte schließen und sich mit den Leuten unterhalten. Und wenn Er schon einmal da ist, kann Er auch gleich die kleineren Probleme der Menschheit lösen und die Welt ein wenig verbessern …
Nun wabert Gott durch die grauen Straßen. Der Tag ist noch jung. Die Menschen sitzen in Blechkisten und rollen hintereinander her. Niemand ist zu Fuß
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