Der heimliche Rebell
ganze Reihe von Leuten hat die Statue gesehen, bevor sie die Kiste errichteten. Ihre allererste Maßnahme war, die Kohorten des Major Streiter herüberzubeordern; sie müssen wohl gedacht haben, daß noch mehr passieren würde. Als ich vorbeikam, waren da diese ganzen finster aussehenden jungen Männer in ihren braunen Uniformen, die einen Sperriegel rings um die Statue bildeten. Aber man konnte trotzdem alles sehen. Dann, irgendwann im Verlauf des Tages, wurde die Kiste errichtet.“ Erläuternd fügte sie hinzu: „Verstehen Sie, die Leute lachten. Sogar die Legionäre der Kohorten. Sie konnten einfach nicht anders. Erst kicherten sie bloß, aber dann brach es aus ihnen heraus. Mir taten diese jungen Männer so leid… sie haßten es, so lachen zu müssen.“
Jetzt hatten sie beide eine erleuchtete Straßenkreuzung erreicht. Das Mädchen blieb stehen. Auf ihrem Gesicht war ein Ausdruck der Besorgnis. Sie schaute aufmerksam zu ihm auf, musterte ihn eingehend, und ihre Augen waren groß.
„Sie sind in einer schrecklichen Verfassung“, sagte sie. „Und es ist mein Fehler.“
„Nein“, antwortete er. „Mein eigener Fehler.“
Ihre Hand legte sich auf seinen Arm. „Was ist denn los?“
Voller Ironie sagte er: „Berufliche Probleme.“
„Oh.“ Sie nickte. Aber immer noch umklammerte sie seinen Arm mit ihren fest zupackenden Fingern. „Haben Sie eine Ehefrau?“
„Eine sehr liebe.“
„Hilft sie Ihnen?“
„Sie macht sich sogar noch mehr Sorgen als ich. Gerade in diesem Augenblick ist sie daheim und schluckt Tabletten. Sie hat eine fabelhafte Sammlung.“
Das Mädchen sagte: „Wollen Sie Hilfe?“
„Ja“, antwortete er und war nicht sehr überrascht über seine eigene Offenheit. „Sehr dringend.“
„Genau das habe ich mir gedacht.“ Das Mädchen setzte sich wieder in Bewegung, und er ging mit. Sie schien verschiedene Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen. „Heutzutage“, sagte sie, „ist es schwierig, Hilfe zu bekommen. Es ist nicht üblich, daß Sie überhaupt Hilfe wollen. Ich kann Ihnen eine Adresse geben. Wenn ich’s tue, werden Sie dann auch davon Gebrauch machen?“
„Das läßt sich unmöglich sagen.“
„Werden Sie wenigstens versuchen, davon Gebrauch zu machen?“
„Ich habe noch nie in meinem Leben um Hilfe gebeten“, sagte Allen. „Ich kann nicht sagen, was ich täte.“
„Hier ist sie“, sagte das Mädchen. Sie überreichte ihm einen zusammengefalteten Zettel. „Stecken Sie ihn in Ihre Brieftasche. Nicht anschauen – stecken Sie ihn einfach nur weg, bis Sie ihn benutzen wollen. Holen Sie ihn erst dann heraus.“
Er steckte den Zettel weg, und sie betrachtete ihn unverwandt.
„Sehr schön“, sagte sie zufrieden. „Gute Nacht.“
„Sie gehen?“ Er war nicht einmal überrascht; es schien völlig selbstverständlich.
„Ich werde Sie wiedersehen. Wie ich Sie früher schon gesehen habe.“ Sie verschmolz in der Dunkelheit der Seitenstraße. „Gute Nacht, Mr. Purcell. Passen Sie gut auf sich auf.“
Irgendwann später, als das Mädchen gänzlich in den Schatten verschwunden war, wurde ihm langsam bewußt, daß sie nicht zufällig dort im Park gestanden hatte. Sie hatte auf ihn gewartet. Hatte gewartet, weil sie genau wußte, daß er kommen würde.
6
Am nächsten Tag hatte Allen Mrs. Frost immer noch keine Antwort zukommen lassen. Die Stelle des Direktors von T-M war angesichts von Mavis’ Rücktritt und Allens Zögern derzeit vakant. Der große Medienkonzern rollte allerdings durch seinen eigenen Schwung weiter. Allen zweifelte nicht daran, daß die unteren Chargen in der Hierarchie unbeirrt fortfuhren, Formblätter abzustempeln und Vordrucke auszufüllen. Das Monster lebte, aber nicht so, wie es eigentlich sollte.
Unsicher, wieviel Zeit er hatte, um seine Entscheidung zu treffen, rief er im Komiteegebäude an und verlangte Mrs. Frost zu sprechen.
„Bedauere, Sir“, antwortete eine Tonbandstimme. „Mrs. Frost ist in einer Konferenz. Sie können jetzt dreißig Sekunden lang eine Nachricht auf Band sprechen. Eine Abschrift davon wird Mrs. Frost zur Kenntnisnahme vorgelegt. Danke. Tsiiiiiiiiiiiii!“
„Mrs. Frost“, sagte Allen, „wie ich gestern schon erwähnte, muß ich für meinen Teil noch eine ganze Reihe von Überlegungen anstellen. Meine derzeitige Tätigkeit als Leiter einer Agentur gibt mir eine gewisse Unabhängigkeit. Sie haben darauf hingewiesen, daß Telemedia mein einziger Abnehmer ist, so daß ich de facto bereits für
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