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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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beschloss, die ihm von Gott gegebenen Fäuste einzusetzen. Er raffte das
untere Ende des Gewandes und warf sich den Knechten mutig vor die Lunten. »Ihr
guten Leute, versündigt Euch nicht!«, donnerte er auf sie ein. »Und fürchtet
Gottes Zorn, denn Ihr begeht Unrecht, wenn Ihr auf unschuldige Kinder schießt!«
Sein Kiefer arbeitete nervös, seine Fäuste zuckten heftig. Notfalls würde er
seine Schäfchen mit dem Leben verteidigen.
    Als die Stadtknechte
unschlüssig zu Berner traten, nutzte Andreas den Augenblick. »Soweit mir
bekannt ist, bringt Ihr den Jungen mit den anderen Kindern nach Detmold in die
Anstalt. Dort erwartet sie göttliche Bekehrung, habe ich recht?«, schmetterte
er Berner mit fester Stimme entgegen. »Aber was ist das für eine Bekehrung,
wenn er in ein paar Jahren dennoch hingerichtet wird, weil die Kinder dazu
angehalten werden, sich gegenseitig zu verleumden? Und was geschieht mit ihm,
wenn er die harten Torturen in der Anstalt lebend übersteht? Er ist jedermanns
Freiwild und würde letztendlich doch als Hexer auf dem Scheiterhaufen enden.
Warum versündigt Ihr Euch nicht gleich an den Kindern und tötet sie, in Gottes
Namen?« In seinen Augen loderte ein gewaltiges Feuer, aus dem wütende Funken
auf Berner übersprangen. »Ich schwöre Euch, Gottes Zorn wird über Euch kommen
wie einst über König Herodes!«
    Der Stadtsekretär,
der selbst in panischer Angst vor dem Teufel lebte, wich erschrocken vor dem
tobenden Geistlichen zurück. »Ihr wollt mir diktieren, wie ich mein Amt
auszuüben habe, Hochwürden?«, fauchte er gefährlich leise, besann sich dann
aber eines Besseren. Nicht umsonst war er ein städtischer Angestellter. Der
Vergleich aus der Bibel besänftigte ihn. Drohend wies er mit knochigem Finger
auf Cordt. »Diese Schmach werde ich Euch und Eurer vorlauten Tochter niemals
vergessen, Rampendahl. So wahr ich jetzt vor Euch stehe, das schwöre ich. Und
Ihr, Hochwürden, seid gewiss, dass wir Eure Kirche fortan genauestens im Auge
behalten.« Berner winkte den Knechten, die den sich sträubenden Jungen bei den
Armen packten und in ihre Mitte nahmen. Zum Abschied schwang Berner noch einmal
drohend seinen Stock, dann tippelte er leicht gebeugt hinter den Knechten her.
    Es dauerte eine
geraume Zeit, bis seine hölzernen Schritte in der Diele verklungen waren, dann
lag andächtige Stille über dem Raum. Niemand traute sich, das Wort zu erheben,
bis Cordt nach Maria Ausschau hielt.
    »Wo ist meine
goldgelockte, tapfere Maria?« Suchend ließ er seinen Blick umherschweifen,
während er Eheweib und Töchterchen Margaretha fester an die breite Brust zog.
Ihre zarten Körper wärmten ihn durch das Hemd, und er spürte ihr erleichtertes
Zittern nach der überstandenen Angst. Trauer und Hilflosigkeit überfielen ihn.
    »Wo bist du, Herr
und Hirte, unser Erlöser und Beschützer?« Fragend forschte er in Andreas’
Gesicht. Einige Sekunden lang versanken die Blicke der Männer ineinander, dann
senkte der Geistliche stumm die Lider. Zweifel verdunkelten seine Züge und
nagten an seiner Seele. Unerträglich, dass er seinem Freund Cordt in dieser
schweren Stunde nicht ein einziges Wort des Trostes spenden konnte. Er selbst
suchte Beistand beim himmlischen Vater und beugte das Knie vor dem heiligen
Gemälde. Wandelte er denn noch auf dem Wege des Herrn, oder beschritt er
bereits den sündigen Pfad des Zweifels? »Welche Sünde, Herr, kann so schwer
wiegen, dass du mir deine Hilfe verweigerst?«, betete er verhalten über die
gefalteten Hände. »Herr, ich bitte dich, lass es nicht zu, dass die junge Saat
sinnlos vernichtet wird.«
    Er zog die Kapuze
tief in die Stirn, segnete Cordts Stube und griff nach der noch halb gefüllten
Kanne Bier, die er an die Lippen setzte. Cordt hörte ihn laut schlürfen, doch
plötzlich drehte er ihm das von der Kapuze verdeckte Gesicht zu und spie den
Rest Bier auf den gewichsten Boden. »Es ist nicht rechtens, dass Hexen und
Unholde ihr Unwesen treiben und Trunksucht und Maßlosigkeit unsere Stadt
beherrschen. Aber Gott verlangt von uns, dass wir uns nicht scheuen, unsere
Stimme zu erheben gegen die Richter, welche nichts taugen und sich auf Gott
herausreden, wenn durch ihre Fehler Unschuldige gerichtet werden.«
    Cordts Mund stand
vor Staunen noch immer offen, als Andreas, erschrocken über die eigenen Worte,
dem Dechen den Krug in die Hand drückte und eilig an ihm vorbei durch die Tür
schritt.
    Während Berner
wütend die Stube verließ, war Maria unbemerkt

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